Passau, Kaltort-Ranking 2019

Ort: Passau (Bayern)
Bevölkerung: 51.781 Einwohner*innen
Selbstbezeichnung: Universitätsstadt, Die-Drei-Flüsse- Stadt

Passau, ein kleiner und beschaulicher Ort im tiefsten Niederbayern, bekannt vor allem als Drei-Flüsse-Stadt, für barocke Architektur und den Stephansdom. Jedes Jahr pilgern tausende Tourist*innen aus aller Welt durch die historischen Gassen und bayerischen Wirtshäuser, der sich als „kosmopolitisch“ und weltoffen gerierenden Stadt. Als im Sommer 2015 tausende Geflüchtete den Weg nach Deutschland suchten, um dort Asyl zu beantragen geriet Passau in den Fokus der medialen Berichterstattung und kaum eine andere Stadt stand mehr für „Willkommenskultur“. Doch der Schein trog schon damals und das tut er auch heute noch. Passau steht exemplarisch für all das, was im Kampf gegen autoritäre Formierung und die extreme Rechte schief läuft.

Während extrem rechte Akteure in Ostbayern und Passau, von AfD über die Burschenschaft Markomannia Wien zu Deggendorf bis hin zum neonazistischen „III. Weg“ vertreten sind und immer aktiver werden, bleibt der Protest der Zivilgesellschaft weitgehend aus – im besten Fall. Häufig ist es damit nicht getan, regelmäßig schlägt linken Aktivistinnen aus eben jener Bevölkerung, die sich als weltoffen begreift, Unverständnis, Ablehnung und manchmal auch Hass entgegen. Aus falsch verstandener Meinungsfreiheit und Pluralismus unter dem Credo „Jeder soll sagen dürfen, was er*sie will, egal wie rassistisch oder NS-verherrlichend es ist“ werden extrem rechte Kräfte toleriert und teils hofiert.

Exemplarisch zeigt sich das am Beispiel der neofaschistischen Burschenschaft Markomannia, einer Studentenverbindung, die als Sammelbecken und Netzwerk für AfD, Identitäre Bewegung, rechte Hooligans und Neonazis dient. Im Winter 2019 verlagerte die eigentlich in Deggendorf ansässige Burschenschaft ihre Aktivitäten immer mehr nach Passau, rekrutierte an der Universität neue Mitglieder und traf sich in ihrer Konstante in der Passauer Altstadt zum gemeinsamen Kampfsporttraining. Den antifaschistischen Recherchen, die all das aufdeckten, schlug dagegen vor allem Desinteresse entgegen und die journalistische Arbeit wurde mit „Stasi-Methoden“ gleichgesetzt. Nachdem öffentlich wurde, dass ein Mitglied der extrem rechten Burschenschaft versucht hatte, sich als Spitzel in linke Gruppen und das Offene Antifaschistische Treffen einzuschleusen, überschlugen sich rechte Medien bundesweit vor Stolz über die „mutige Tat“ und auch die bürgerliche Presse in Passau sprang auf das von Rechten gesetzte Narrativ „Student von Linksextremen an Universität angegriffen“ an. Dieser Versuch, linke Gruppen an der Universität gezielt zu diskreditieren und langfristig eine rechte Hegemonie an der Hochschule zu schaffen, den selbst der Bayerische Verfassungsschutz nicht mehr leugnete, führte Seitens der Universität lediglich zu Sanktionsdrohungen gegenüber Linken – schließlich gilt es, einen guten Ruf zu wahren. Wenig später wurde bekannt, dass es sich bei einem weiteren Mitglied der Markomannia um Tobias L. handelt, der wegen extrem Rechter Positionen bereits von der Bundeswehruniversität in München verwiesen wurde und im Verdacht steht, einen Anschlag auf die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geplant zu haben. Wie nicht anders zu erwarten, stieß auch diese neue Erkenntnis in Passau auf wenig Resonanz, nicht einmal als der rechte Spitzel und der mutmaßliche Rechtsterrorist gemeinsam die Gründung einer Campus Alternative an der Universität initiierten und deren Treffen besuchten. Die Universität kann keine gegen ihr Leitbild oder das Grundgesetz verstoßenden Bestrebungen erkennen und stellt den extrem rechten Akteuren daher weiterhin Räumlichkeiten und die Möglichkeit zur Beantragung von Fördergeldern. Auch die Stadt findet nichts dabei, wenn an Feierlichkeiten wie dem Volkstrauertag extrem rechte Burschen Seite an Seite mit städtischen Vertreterinnen den Opfern oder wahlweise auch den deutschen Tätern zweier Weltkriege gedenken. Der Umgang mit der extremen Rechten in Passau konzentriert sich also vor allem darauf, alles, was den guten Ruf der Stadt oder der Universität schädigen könnte, totzuschweigen. Währenddessen druckt die lokale Presse fröhlich jede Stellungnahme der, ausnahmslos dem extrem rechten Flügel angehörenden AfD-Passau, in voller Länge ab und die CSU bemüht sich redlich die AfD dabei noch rechts zu überholen. Um das Bild abzurunden, unternehmen auch die Passauer Behörden – allen voran der Staatsschutz – alles, um antifaschistische Veranstaltungen zu verhindern. Im Sommer 2018 versuchten die Beamtinnen beispielsweise eine Vortragsreihe zu „5 Jahren NSU-Komplex“ von antifaschistischen Gruppen und der Partei Die Grünen zu verhindern, indem versucht wurde die Besitzer*innen des Veranstaltungsortes einzuschüchtern.

Die extreme Rechte verfügt in Passau bei weitem nicht über die gesellschaftliche Hegemonie, die sie in anderen Städten, häufig in Ostdeutschland, hat. Die Stadt steht aber exemplarisch dafür, wie verharmlosender Umgang mit der extremen Rechten, eine erzkonservative Bevölkerung, neoliberale Studierende und Law&Order-Politik gegen progressive Kräfte zusammenspielen und autoritäre Positionen wieder salonfähig machen und hat es deshalb verdient, im Kaltort-Ranking 2019 anzutreten.
Weiterführende Informationen zu der extremen Rechten in Passau und Niederbayern finden sich unter hier.

Bautzen, Kaltort-Ranking 2019

Ort: Bautzen (Budyšin)
Einwohner*innen: 39.087
AfD:  Gleichauf mit der CDU
Kaltort des Jahres 2016 & 2017

An den Wänden Bautzens bebildern Nazigraffiti von Sig-Rune bis Hakenkreuz auch 2019 die völkische Normalität. Rassistische Angriffe und eine kaum fassbare Anzahl an Anzeigen wegen Hitler- und „Sieg Heil“-Grüßen füllen die Polizeimeldungen (1). Wenn über den Zustand der Verrohung und Radikalisierung der Bautzener Stadtgesellschaft gesprochen wird, dann meist im Zusammenhang konkreter Taten. Wie zum Beispiel ein Angriff von zehn Jugendlichen auf eine  syrische 15-Jährige, um ihre Bushaltestelle deutsch zu halten (2). 

Es ist allerdings beileibe nicht die organisierte Naziszene, die Bautzen Jahr um Jahr in eine der Favoritenrollen im Rennen um den Kaltort-Titel hievt. Die rassistischen Angriffe werden erst möglich durch den rassistischen Konsens in der Stadt, der von den zur Tat schreitenden Jugendlichen bis zum Stadtrat reicht.

Das wird zum Beispiel an dem Abend deutlich, an dem der Verein „Bautzner Frieden“ bereits zum siebten Mal seinen Friedenspreis vergibt (3). Der größte Saal des städtischen Theaters ist wie gewohnt ausverkauft. So hörten 400 Menschen 2018 das Grußwort des CDU-Landrats und auch der stellvertretende Bürgermeister ist ein über die Jahre gern gesehener Gast der Veranstaltung. Diese wird u. a. vom lokalen Bauunternehmer Drews finanziert, der neben Sternwarte und Fußballklub ebenfalls die AfD unterstützt und sich in Wort und Tat gegen eine multikulturelle Gesellschaft stemmt. Auch wenn der Verein  nach in der Friedensbewegung hängengebliebenen Oldielinken klingt, ist dieses Sponsoring kein Zufall. Im Laufe des Abends prämiert der Verein Inhalte der völkischen Mobilisierung in der verschwörungstheoretischen Variante. Ausgezeichnet wird 2020 der vom Lehrbetrieb ausgeschlossenen Professor und seitdem vollberufliche Experte für Komplott & Geheimbündelei Danielle Ganser, der das Oktoberfestattentat einer NATO-Geheimarmee statt organisierten Neonazis in die Schuhe schiebt.

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung führte die Preisverleihung zu beeindruckender Geschlossenheit im Bautzener Rathaus. Insgesamt 16 Bürgervertreter von CDU bis AfD verließen am Abend der Veranstaltung vorzeitig den Stadtrat, um nicht die gleichzeitig verhandelte Distanzierung vom Preis diskutieren zu müssen. Die verhaltende Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit die darauf folgte, bestand größtenteils aus halbherzigen Distanzierungen und verbalen Angriffen gegen Linke und Grüne.

Wer dagegen hält, wird zum Ziel. Hilfe ist nicht zu erwarten. Das bekamen auch die Besucher*innen des Kulturfestivals „Bouncen in Bautzen“ zu spüren. Sie mussten sich mehrfach selbst anrückenden Nazis in den Weg stellen. Die Polizei stellte erst nach dem dritten Anlauf Personalien und Waffen fest (4). Aber auch im Alltag sind Drohungen an der Tagesordnung. Sie gelten dem Lokaljournalist, der die Tür seines Wohnhauses voller Hakenkreuze und Drohungen vorfindet (5), dem Jugendzentrum Kurti (6), das regelmäßig Ziel von Angriffen wird, oder den Politiker*innen von Linkspartei über Grüne (7) bis SPD (8), denen neben Ausbürgerung ebenfalls mit Ermordung gedroht wird. Allen voran Annalena Schmidt, die durch die Bautzener Zustände zur Grünenpolitikerin wurde. Sie gilt als Zugezogenene, der es um die Schädigung des Stadtrufes geht, wenn sie über Neonaziaktivitäten und rassistische Übergriffe bloggt.

Aufgrund ihres Social Media-Aktivismus gehören anonyme Drohungen mittlerweile zu ihrem Alltag. Gegen ihre Stadtrats-Kandidatur wurde sogar eine Demonstration angemeldet(10).

Mit der realitätsfernen Idee eine Diskussionsveranstaltung könne die völkisch Bewegten „Zurück zur Sachlichkeit“ holen (9), lud der SPD-Bürgermeister Ahrens den bereits erwähnten Bauunternehmer Drews auf ein Podium in der Maria-und-Martha-Kirche ein und nötigte Frau Schmidt zur Teilnahme. Vor 850 Zuschauer*innen wurde die Veranstaltung zum Tribunal. Schnell wurde an dem Abend klar, wer dazu gehört und wer zu gehen hat und vor allem: wie die Kräfteverhältnisse in der Stadt stehen. Widerworte sind wenige zu hören in Bautzen, eine stete Kraftquelle derer, die davon angetrieben sind in Wort und Tat aktiv und immer radikaler zu werden. Also wenigstens von außen ein Zeichen setzen: Wählt Bautzen zum Kaltort des Jahres 2019!

1: https://www.raa-sachsen.de/support/chronik?landkreis=LK+Bautzen&jahr=20192: https://www.raa-sachsen.de/support/chronik/vorfaelle/sohland-an-der-spree-39063: https://taz.de/Initiative-gegen-Bautzner-Frieden/!5660675/4: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bautzen-passanten-verhindern-neonazi-angriff-auf-stadtfest-a-1268493.html5: https://www.raa-sachsen.de/support/chronik/vorfaelle/bautzen-43796: https://www.raa-sachsen.de/support/chronik/vorfaelle/bautzen-43277: https://www.sueddeutsche.de/politik/angriffe-politiker-personenschutz-1.44945208: https://www.raa-sachsen.de/support/chronik/vorfaelle/bautzen-43829: https://www.sueddeutsche.de/politik/bautzen-ostdeutschland-stimmung-1.432348210: https://www.fr.de/politik/annalena-schmidt-historikerin-kaempft-gegen-rechtsextremismus-bautzen-11836942.html

Plauen, Kaltort-Ranking 2019

Ort: Plauen (Sachsen)
Bevölkerung: 66.000
Selbstbezeichnung: Spitzenstadt Plauen

PLAUEN, wo Häuser brennen, Nachbarn dazu klatschen und trotz allem gegen Nazis gekämpft wird

Plauen im Vogtland war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine vergleichsweise reiche Stadt und Mittelpunkt der Textilindustrie sowie des Maschinenbaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Plauen am hintersten Rand der DDR und dümpelte weitestgehend bedeutungslos vor sich hin, war jedoch trotzdem Standort einiger wichtiger Industrien. Seit 1990 ist Plauen von Deindustrialisierung betroffen. Wie in ähnlichen Städten blieben nach 1990 die ‚blühenden Landschaften‘ aus und viele Menschen, vor allem junge und gut ausgebildete, sahen sich gezwungen, wegzuziehen.

Sozialstrukturell ist noch zu sagen, dass es sich um die ‚Billiglohnregion Sachsens‘ handelt, mit einem hohen Anteil an Menschen, die in völlig prekären Arbeitsverhältnissen stecken. Hier ist auch ein Generationskonflikt in Form von Lohngefälle von ‚alt‘ nach ‚jung‘ erkennbar. Mit den Niedriglöhnen hat die Lokalpolitik übrigens sogar
Werbung für die Ansiedlung von Unternehmen gemacht. So berichten es die Antifaschistischen Gruppen des Vogtlandes (agv) 2018 in einem Interview.1

Nazis gibt es in Plauen zahlreich. Diese sind vorwiegend in den Stadtteilen Haselbrunn und Preißelpöhl aktiv. In Haselbrunn ist auch das selbsternannte ‚Bürgerbüro‘ des III. Weg, von dem aus diverse Aktionen koordiniert werden wie eine nationalsozialistisch inspirierte Winterhilfe. Beide Stadtteile haben zahlreiche rechte ‚Lifestyle‘-Angebote: ein Thor-Steinar-Laden, der Fußballverein SpuBC (Sport- und Ballspielclub) , der unter seinen Spielern Nazis toleriert und eine sehr rechte Anhängerschaft hat, sowie mehrere Kneipen, von denen regelmäßig rechte Angriffe ausgingen und deren Betreiber*innen selbst Nazis sind. Nazis sind in Plauen auch auf parlamentarischer Ebene vertreten – der III. Weg ist mit Tony Gentsch im Stadt- und Kreistag vertreten und die AfD konnte bei den Landtagswahlen in Sachsen 28,5 % der Stimmen holen.

Neben regelmäßigen rassistischen Angriffen und Beleidigungen fanden in Plauen zum Jahreswechsel 2017/2018 zwei schwere Brandstiftungen statt. Am 29. Dezember 2017 brannte ein Haus in der Trockentalstraße. Während des Brandes skandierten Anwohner „Sieg Heil“, “lasst sie brennen”, attackierten Einsatzkräfte und machten das Löschen nahezu unmöglich. Ausschließlich zwei Jugendliche, die gerade die Straße entlang fuhren, hielten an und halfen den Hausbewohnerinnen aus dem brennenden Haus. Im brennenden Haus wohnten mehrheitlich Roma-Familien aus der Slowakei. 19 Personen wurden bei dem Brandanschlag verletzt. Zwei Frauen und ein fünf Jahre altes Kind erlitten so schwere Verbrennungen, so dass Lebensgefahr bestand. Nur wenige Monate später, am 13. Juli 2018, wurde das Verfahren gegen Jens W. durch die Staatsanwaltschaft Zwickau eingestellt, da dem Beschuldigten die Tat nicht nachgewiesen werden konnte. „Die Sachbearbeiterin sei zu dem Schluss gekommen, dass die Zeugenaussagen nicht ausreichten“.2 Die Staatsanwaltschaft Zwickau hat mit der Einstellung des Verfahrens ein brutales Zeichen der Gleichgültigkeit ausgesendet. Brandstiften, das Anzünden von Menschen blieben ohne juristische Konsequenz. Mit der Einstellung des Verfahrens kann auch keine Zivilklage erhoben werden. Die rassistischen Nachbarinnen – Vater und Sohn – wurden derweil vom Gericht Plauen zu 500 Euro Strafe verurteilt. Dem Sohn wurde ein Aufsatz mit 800 Worten über das Thema „Ausländerfeindlichkeit bei nicht kriminellen Ausländern“ abverlangt.
Wenige Wochen später kommt es in der Dürerstraße erneut zu einem Brand. Nicht alle können rechtzeitig das brennende Gebäude verlassen, es sterben zwei Menschen in der Dachgeschosswohnung. Die beiden Toten sind jugendliche Punks. Ein 27-Jähriger aus dem Freundeskreis der Todesopfer wurde wegen zweifachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Dieser Brandanschlag galt vermutlich nicht den Romnja, dennoch sind sie erneut betroffen: In diesem Haus sind genau die Familien aus der Slowakei untergebracht, die ihre Wohnungen in der Trockentalstraße verloren hatten. Die Romnja mussten sich binnen fünf Wochen zwei mal aus
einem brennenden Haus retten. Auch hier kam die Nachbar*innenschaft nicht zur Hilfe. Kaltland.
Ein weiterer Brand fand am 1. Dezember 2019 statt. Zwei 19 Jahre alte Asylbewerber aus Syrien sowie eine 31 Jahre alte Deutsche zogen sich Rauchgasvergiftungen zu.

Diese Ereignisse der letzten Jahre zeigen – Plauen ist ein Beispiel der sächsischen Verhältnisse und verdient die Auszeichnung Kaltort 2019.

1: http://critiquenact.blogsport.eu/2018/05/15/sich-nicht-daran-gewoehnen-wenn-nachbarschaften-verbrennen-lassen/

2: https://taz.de/Roma-in-Sachsen/!5531184/

Zwickau, Kaltort-Ranking 2019

Ort: Zwickau
Bevölkerung: 91.123 Einwohner*innen
Selbstbezeichnung: Stadt des Bergbaus, Automobilstadt

Schon 2016 war Zwickau ein Drecksnest im Kaltortranking: In dem Jahr wurde mehrfach gegen die Einrichtung einer Geflüchtetenunterkunft demonstriert und ein Brandanschlag auf diese verübt, ein Auftritt des Bundesjustizministers Heiko Maas am 1. Mai wurde von Rassist*innen so gestört, dass er unter massivem Polizeischutz stattfand und bei einer antifaschistischen Demonstration im November reagierten Anwohner*innen mit Hitlergrüßen und Pöbeleien. Anschließend wurde eine Installation zum Gedenken an die Opfer des NSU beschädigt.

Auch im Rückblick auf 2019 darf Zwickau nicht fehlen. Die Stadt, in der sich der NSU so viele Jahre heimisch fühlen und in bester Gesellschaft mit Nachbar*innen unter der Hitlerbüste feiern konnte, pflanzte die Oberbürgermeisterin Pia Findeiß am 8. September auf dem Schwanenteich-Gelände einen Baum; und zwar eine junge deutsche Eiche. Nach jahrelangem Klagen, allen voran von Findeiß, nicht länger als „Stadt der Täter“ bezeichnet werden zu wollen, was sie auch vor dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss nicht müde wurde zu betonen, sollte mit dieser Geste an das erste Mordopfer des NSU, Enver Şimşek erinnert werden. Kontakt mit der Familie Şimşek hat man dazu nicht aufgenommen. Knapp einen Monat später ging dann eine bundesweite Welle der Empörung durch die Medienlandschaft: der Baum wurde abgesägt und Zwickau stand schon wieder in der rechten Ecke.

Aber Zwickau kann mehr: Am 3. November wurden zehn Bäume im Gedenken an die Mordopfer des NSU gepflanzt. Die Perspektiven der Betroffenen und Hinterbliebenen spielten wieder keine Rolle, Angehörige wurden wieder nicht eingeladen, die Namen der Mordopfer auf den Gedenktafeln zum Teil falsch geschrieben und auch nicht in den Reden der städtischen Offiziellen genannt. Stattdessen stelle die Oberbürgermeisterin Zwickau als Stadt des Bergbaus vor. Bei ihr überwog auch die große Freude über die eifrig gespendeten Gedenktafeln, alles andere schien nebensächlich zu sein, wie beispielsweise ein AfD-Kranz vor dem abgesägten Baum.

Im Dezember hat Benjamin Przybylla, der zusammen mit André Poggenburg die Rechtsaußen-Splitterpartei „Aufbruch Deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“ (ADPM) gründete, anlässlich einer Fridays for Future-Demonstration eine Gegendemo angemeldet. Dazu gab es selbstgebackene Kekse mit der Aufschrift „NSU“, die an die Motorenfabrik NSU erinnern sollten. Die Verbindung zum Terrornetzwerk liegt nahe, was Przybylla auch nicht verneinte.
Acht Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind es Kontinuitäten des Zusammenwirkens der menschenfeindlichen Bevölkerung, organisierten Neonazis und staatlichen Institutionen, die ein Klima der Angst für alle die schaffen, die nicht ins Bild dieses Zwickau passen. Der städtische Gedenkhain steht nun 24 7 unter Polizeischutz.

Zwickau im Kaltortranking 2016 (Facebook)

1000 Gründe für Zwickau – eine unvollständige Chronik

PM der Initiative „Tribunal NSU-Komplex auflösen“ zum Gedenken in Zwickau

Über die Gegendemo der ADPM

Kaltort-Ranking 2019

Es ist endlich so weit: auch in diesem Jahr heißt es wieder: Nichts durchrutschen lassen, oder… Gewinne, Gewinne, Gewinne… der Preis für den ätzendsten Drecksort dieses kalten Landes! Kaltortranking 2019 is on!

Daher: wählt und kürt mit uns die niederste Hochburg der Regression des vergangenen Jahres und helft uns so, die Aufmerksamkeit auf eben diese Beispiele der deutschen, rassistischen Normalität zu lenken. Wie‘s geht? Mitmachen, Teilen, Voten, Abkotzen!

Nun ist das neue Jahr schon ein paar Wochen fortgeschritten und wäre das Ranking nicht auf 2019 begrenzt würden wir als ersten Kandidaten direkt Thüringen als Ganzes ins Rennen schicken. Aber keine Sorge, ihr dürft das dortige Wahldebakel aka Bundesland gegen die Linke und für die afd dennoch abstrafen, denn wie in 2018 ist auch diesmal wieder der Drecksort Eisenach nominiert. Gegen die Nazi- und Luther-Stadt treten unter anderem aber knallharte Konkurrentinnen wie newby Kassel oder der alte Hase Chemnitz an. Auch das Nordkreuz ist dieses Jahr dabei, ganz ohne Lokalbezug, denn dieser Verein ist überall Ausdruck der unerträglichen deutschen Verhältnisse. Ebenfalls scharrt bereits Zwickau, Stadt des NSU und der verweigerten Erinnerung an ihn an der Startlinie mit den Hufen, die Chancen auf den Preis stehen gut…

Doch mehr soll nicht verraten werden, denn seht selbst, wer es außer diesen vier Miesorten noch in die Liste der Top 10 geschafft hat und wählt euren persönlichen Anti-Favoriten. Wer weiß, vielleicht nimmt es der*die Sieger*in ja wieder als „Anlass, sich mehr mit Rassismus zu befassen“, wie es die Stadt Bautzen in ihrer Reaktion auf den Preis von vor 3 Jahren angekündigt hat. Was wie, aber Bautzen ist trotzdem schon wieder nominiert?! Tja, das war dann wohl nix…

Bevor es losgeht lasst uns nur noch dieses vorwegnehmen: Um das ganze Ringen der Drecksnester um den Preis 2019 nicht vorschnell zu einer Entscheidung zu bringen ist der allseits bekannte und verhasste kälteste Ort des letzten Jahres gar nicht erst zum Antritt zugelassen worden: Halle, Stadt der antisemitischen und rassistischen Morde. Was dort im letzten Jahr passiert ist übersteigt den Rahmen dieses Rankings und hat daher zur Disqualifikation vor dem Start geführt.

Ihr merkt schon: die Auswahl hat aus verschiedenen Gründen keinen Anspruch auf Vollständigkeit – sie versucht aber, unterschiedliche Regionen in den Blick zu nehmen und den breiten rassistischen Konsens, auch in den scheinbar netteren Orten, aufzudecken und anzugreifen.

Als Bündnis „Irgendwo in Deutschland“ organisieren wir immer wieder Demonstrationen, mit denen wir genau an diesen Orten auf die unerträglichen Zustände hinweisen und sichtbar machen, dass es Leute gibt, die mit den Angriffen nicht einverstanden sind. Diese unversöhnlichen Interventionen sind für uns eine wichtige und notwendige Aktionsform, vor allem mit Blick auf die oft fehlenden linksradikalen Interventionen. Gegen Kaltland, seine völkischen Mobilisierungen braucht es mehr Druck, mehr Stress und mehr Entschlossenheit.


HELFT MIT: Schafft Aufmerksamkeit für deutsche Zustände!
So läuft es ab: Ab dem 17.02. veröffentlichen wir bei Facebook und auf dem Irgendwo in Deutschland-Blog täglich einen Text und stellen einen dieser Kaltorte mit ihren spezifischen völkischen Gemengelagen vor. Im Anschluss seid ihr ab dem 28. gefragt – ihr dürft abstimmen, welcher dieser Orte die Auszeichnung als Kaltort 2018 verdient hat. Die Gewinner*innen-Stadt bekommt auch in diesem Jahr einen Preis von uns – die Stadt Bautzen hat mehrfach aus guten Gründen das Ranking gewonnen und das Video zur Preisübergabe 2016 hat das Social Media Team der Stadt länger beschäftigt, um das geschädigte Image wieder zu korrigieren. Auch Anfang 2019 kann ein deutscher Kaltort sich auf solche ‚Anti-Tourista-Aktionen‘ freuen.

Wir setzen bei diesem Unterfangen auf eure Unterstützung: Ob in SocialMedia-Währung von Likes, Shares und Retweets.
Allerdings bitten wir euch diesesmal auch selber in die Debatte zu gehen: Lasst uns die Wut & Kritik über rassistische Zustände in die Orte zurückbringen, potentielle Besucher*innen warnen und über das Netz Handlungsdruck erzeugen. Fügt also rassistische Angriffe in Wikipedia-Artikel der Orte hinzu, klärt Tourist*innen über die Social Media-Seiten der Ortschaften und ihrer Sehenswürdigkeiten auf. Wir zählen auf euch, Rassist*innen angreifen bleibt letztendlich (digitale) Handarbeit.

Wir danken allen beteiligten Gruppen und Einzelpersonen, die uns wieder mit Texten aus allen Teilen des Landes unterstützen. Ein weiteres Herzchen an all diejenigen, die die Werbetrommel für diese Aktion rühren und vor allem natürlich an alle Kommentarspalten- oder Straßenkämpfer*innen.
Lasst uns den Preis für das Ausleben des Rassismus erheblich erhöhen. Make Racists Afraid Again.

Falls ihr schonmal gucken wollt: Ein Rückblick auf die letzten Jahre Kaltland-Ranking mit allen Texten:

2018: Facebook-Event, im Blog

2017: Facebook-Event, im Blog
2016: Facebook-Event

Veranstaltungen Rechter Terror

Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne „Name it, Face it – Rechten Terror bekämpfen“.

Hamburg

Donnerstag, 24.10.19
Kontinuitätslinien – Rechter Terror in Deutschland
Vortrag von Caro Keller und Robert Andreasch. (NSU-Watch)
19:30 Uhr, Centro Sociale (Sternstr. 2)

Donnerstag, 14.11.19
Die braune Saat – Neonazis, Rassismus und Antisemitismus in der DDR
Vortrag von Harry Waibel
19:00 Uhr, Rote Flora Ex-Vokü (Achidi-John-Platz 1)

Donnerstag, 12.12.19
Ein Krieg nur unter Männern?
Geschlechterbilder und -rollen im deutschen und internationalen
Rechtsterrorismus
Vortrag von Eike Sanders
19:00 Uhr, Rote Flora Ex-Vokü (Achidi-John-Platz 1)

Donnerstag, 09.01.20
Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr
Vortrag von Martina Renner
19:00 Uhr, W3 (Nernstweg 32-34)

Mittwoch, 05.02.20
„Die Hauptzeugen des Geschehenen“
Veranstaltung zur Betroffenenperspektive auf Rechten Terror
mit Ibrahim Arslan und Candan Özer
19:00 Uhr, W3 (Nernstweg 32-34)

Rostock

Mittwoch, 27.11.19
Rechter Terror in der DDR
Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus
Vortrag von Eike Sanders
19:00 Uhr, Rote Flora Ex-Vokü (Achidi-John-Platz 1)

Erlangen

Mittwoch, 18.12.2019
„name it, face it – Rechten Terror bekämpfen“
Vorstellung & Diskussion des Thesenpapiers mit der Initiative Kritisches Gedenken und der Gruppe Antithese

Pressemitteilung zur antifaschistischen Demonstration „Keine Stimme den Faschos! Den rechten Foren den Raum nehmen!“ in Wurzen am 27.08.2019

Am Dienstag, den 27.08.2019 fand eine antifaschistische Demonstration in Wurzen statt. Grund der Demonstration war der gleichzeitige Einzug des „Neuen Forum Wurzen” und der AfD Wurzen in den Stadtrat von Wurzen. Die Demonstration begann mit 170 Teilnehmer*innen. Diese wurde organisiert vom Ladenschlussbündnis Leipzig, der Gruppe „Rassismus Tötet!-Leipzig” und dem Bündnis „Irgendwo in Deutschland”.
Das „Neue Forum Wurzen” ist ein Sammelbecken für Rechte in Wurzen und zog heute als Fraktion in den Stadtrat ein. Bekanntester Protagonist ist Benjamin Brinsa, er gilt als zentrale Figur der Neonaziszene zwischen Wurzen und Leipzig. Ihm werden wiederholte Beteiligungen an gewalttätigen Angriffen vorgeworfen. Die TAZ berichtet in ihrer Ausgabe vom 27.08.2019, dass Brinsa auf Fotos der rechten Ausschreitungen in Chemnitz 2018 zu sehen ist.
Er bekennt sich zur Hooligan-Szene des 1. FC Lokomotive Leipzig und ist der Betreiber des neonazistischen Kampfsportvereins „Imperium Fight Team”. Jenem Kampfsportverein, zu dem auch die Mitglieder der in Wurzen aktiven gewaltbereiten rechtsradikalen Jugendbande “808 Crew” Nähe suchen. Der Kampfsportverein trainiert infamer Weise auf dem Gelände eines ehemaligen Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald, in der Kamenzer Str. 10 in Leipzig-Schönefeld.
Im Fahrwasser des Neuen Forums zieht auch die AfD in den Stadtrat ein. Gemeinsam mit den Akteur*innen um Brinsa trägt sie zur rassistischen Stimmung in Wurzen aktiv bei. Eine zukünftige Zusammenarbeit beider Fraktionen wurde von deren Vertretern bereits angekündigt.

„Es ist die immer gleiche Strategie von Neonazis in die Parlamente einzuziehen, um sich den Anstrich des Legalen zu geben. Es bleibt ihr Ziel demokratische Strukturen zu zersetzen und rassistische Diskriminierung sowie Verfolgung zu normalisieren.”

sagt Stephanie Kesselbauer, Sprecherin des Leipziger Ladenschluss-Aktionsbündnis.
Wurzen ist seit langem Hotspot und Experimentierfeld sächsischer Neonazis. In der bereits in den 1990er Jahren als „No-Go-Area” verschrienen Stadt, eignen sich Rechtsradikale immer mehr Immobilien an. Vom Sonnenstudio bis zum Konzertsaal gibt es mittlerweile zahlreiche Anlaufpunkte der Szene. Ziel der Neonazis ist immer auch Geld für die rechte Szene zu generieren. Der Weg ins Stadtparlament ist nur der nächste Schritt zur Herstellung eines von Gewalt und Angst dominierten Klimas in Wurzen.
In den vergangenen Jahren kam es zu zahlreichen Angriffen auf Geflüchtete, Menschen mit körperlichen Einschränkungen und zahllosen weiteren Menschen denen im neonazistischem Weltbild keine Daseinsberechtigung zukommt.
Eine Dokumentation der Angriffe findet sich unter: https://www.rassismus-toetet-leipzig.org/index.php/rechter-terror-in-sachsen-das-beispiel-wurzen/
Die antifaschistische Demonstration stellt sich aktiv gegen diese unhaltbaren Zustände. Dass B. Brinsa heute ins Stadtparlament eingezogen ist, sehen wir nur als die Spitze des Eisbergs.

„Wir bringen mit unserer Demonstration konsequenten Antifaschismus nach Wurzen. Schluss mit den rassistischen Angriffen auf Geflüchtete und der ständigen Bedrohung von demokratischen Kräfte in Wurzen!”

sagt Hannes Heinze für die Gruppe “Rassismus tötet!-Leipzig”.
Es liegt nun in der Hand der Stadt und ihrer Bevölkerung, ob sie den Rechtsradikalen die Stadt überlässt und durch Stillschweigen weiter zuarbeitet.

„Jahrelange Ignoranz rechter Strukturen und die Abwehr antifaschistischer Kritik haben Wurzen zum braunen Herz des Muldentals gemacht”

so Sandra Merth von „Irgendwo in Deutschland”.
Die Demonstration fordert eine konsequente und aktive Haltung gegen rechte Parteien und ihre Anhänger*innen. Keine Zugeständnisse an die Fraktion von B. Brinsa, kein stillschweigendes Einverständnis mit gewaltbereiten Neonazis. Die Betroffenen rechter Gewalt müssen unter allen Umständen geschützt werden, demokratischen Kräften muss von allen Seiten der Rücken gestärkt werden.

„Die Stadt Wurzen und ihre Bürger*innen stehen vielleicht zum letzten Mal vor der Entscheidung, ob sie sich der Bedrohung von Rechts entgegenstellen. Bald könnte es hier unmöglich werden für Demokratie und gegen Rassismus aufzustehen.”

so Sandra Merth weiter.
Irgendwo in Deutschland, 27.08.2019, 16:56 Uhr

Das Bündnis steht für Rückfragen zur Verfügung:
E-Mail: buendnis@irgendwoindeutschland.org
twitter: @irgendwoinde
#Wurzen #Wurzen2708

Redebeitrag: Wurzen braucht mehr Ruhestörung!

Bürgermeister Jörg Röglin formuliert seinen größten Wunsch für den heutigen Tag in Wurzen so: „Dass die gewählten Abgeordneten respektiert werden und sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können“. Wie üblich: Was für ihn zählt ist „Ruhe“, keine Störung des Betriebs. Dabei wird nicht der Einzug mehrerer Neonazis in den Stadtrat als störend empfunden, sondern diese Antifa-Demo.

Respektiert werden sollen die gewählten Abgeordneten, darunter AFD und Kampfsport-Nazi Brinsa. Die 6 rechten Abgeordneten sollen in Ruhe arbeiten können – also ungestört ihre rassistischen Diskurse im Stadtrat verbreiten. Ungestört ihre Kampagne gegen das Netzwerk für demokratische Kultur umsetzen.

Das NDK im Gegenzug kann aufgrund von rechten Angriffen lange nicht in Ruhe der Arbeit nachgehen – in den letzten Monaten allein kam es zu zwei Angriffen gegen das von ihnen betriebene Café. Selbst gestern bei einer Veranstaltung der taz wurden Besucher*innen beschimpft und bedroht. Schwarze Menschen und People of Color können weder in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen, noch sich sicher fühlen, in den Wurzener Straßen unversehrt zu bleiben.

Für uns ist all das mehr als Grund genug, die Nazis nicht in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen zu lassen. An der rechten Hegemonie in Wurzen und dem Stillschweigen der restlichen Stadtgemeinschaft hat sich nichts geändert, seit wir das letzte Mal da waren.

Wir wollen deshalb den Fokus weiter auf Wurzen richten, Druck aufbauen und Öffentlichkeit schaffen. Aufmerksam machen, den Blick darauf richten, was es hier für rechte Machenschaften gibt.

Die Sitze rechter Parteien im Wurzener Stadtrat sind ein Problem. Sie sind vor allem aber deswegen ein Problem, weil sie nicht alleine stehen, sondern gut eingebunden sind in die Wurzener Stadtgesellschaft und ihre selbsternannte Mitte. Die Nazis im Wurzener Stadtrat wurden gewählt. Sie befinden sich in Wurzen in einer Umgebung, in der sie akzeptiert und unterstützt werden. Ignoranz und das Wegsehen, bis hin zu Anerkennung und Unterstützung macht die Neonazis zu einer solchen Gefahr. Diese Gefahr liegt gerade im Zusammenspiel der verschiedenen Akteur*innen: Der aktiven Neonazis, die teilweise jetzt im Stadtrat sitzen, eines SPD-Bürgermeisters, der die Gefahr herunterspielt und eher den Ruf seiner Stadt gefährdet sieht, einer Lokalpresse, die auch gerne Nazis zu Wort kommen lässt, der sächsischen Justiz, die rechte Gewalttäter*innen nicht verurteilt und dieser sogenannten Mitte, die sich nicht von der rassistischen Gewalt der Neonazis ihr ruhiges Idyll vermiesen lässt, wohl aber von Antifas.

Wurzen konnte so zu einem Rückzugsort für Nazis werden und bietet ihnen mit mehreren Immobilien, Läden und einem Versandhandel wichtige Infrastruktur in der Region. Damit hat sich Wurzen den Titel verdient: „Das braune Herz des Muldentals“.

Bürgermeister Röglin wünscht sich „Ruhe“ für den heutigen Tag. Doch für wen kann es überhaupt „ruhig“ sein in einer Stadt wie Wurzen? Nicht für die, die von den Angriffen der Nazis betroffen sind. Deshalb kommen wir immer wieder her, um diese trügerische Ruhe zu stören, um den Finger in die Wunde zu legen und uns mit denjenigen zu solidarisieren, die von Nazis angegriffen und bedroht werden. Wir bleiben unversöhnlich gegenüber den rassistischen Zuständen, gegenüber der Normalität dieser Stadt, gegenüber den Nazis und denen, die sie machen lassen.

Wurzen braucht mehr Ruhestörung! Antifa in die Offensive!

Wurzen: Redebeitrag Opferberatung RAA Sachsen e.V.

Sommer 2016: Wir sitzen in der Wohnung einer Familie, fast täglich werden sie direkt an der Haustür belästigt. Nachts wird geklingelt, geschrien. Während wir mit der Familie sprechen, fahren in den angrenzenden Straßen Neonazis Patrouille. Der Anlass ist, dass sich Menschen, die in Wurzen leben müssen, gegen Rassismus gewehrt haben. Eine ungeheure Provokation für den rechten Mob. Aber nicht nur der wird rasend. Auch die Lokalpresse empört sich, der Oberbürgermeister spricht von einem „Scherbenhaufen der Integrationsarbeit“.

Eine ähnliche Dynamik entwickelt sich, nach einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen geflüchteten Heranwachsenden und Deutschen in der Innenstadt. Die Folge ist ein Auflauf von mehreren hundert Rassisten auf dem hiesigen Marktplatz, die versuchen die Wohnung der jungen geflüchteten Menschen anzugreifen oder im letzten Jahr als Angreifer verletzt werden, die ein Wohnhaus von geflüchteten attackieren.

Die sächsische Stadt Wurzen ist ein trauriger Hotspot rechter und rassistischer Gewalt. Es ist dabei nicht nur die Quantität an Vorfällen, die selbst in Sachsen beinahe beispiellos ist. Es ist auch die Qualität der Fälle. Die rassistischen Angriffe sind in Wurzen besonders enthemmt und richten sich oft auf die Wohnung der Betroffenen oder finden in ihrem direkten Wohnumfeld statt. Der Wunsch der Betroffenen ist dann: weg ziehen.

Besonders ist in Wurzen auch, dass die Taten kaum juristisch aufgearbeitet werden. Einstellungen der Strafverfahren sind die Regel. Das Signal an die Täter und Täterinnen lautet: Ihr habt nichts zu befürchten. Das Signal an die Opfer der Übergriffe: Es interessiert niemanden, dass ihr in Angst leben müsst. Euer Wohl ist weniger Wert als das der deutschen Bürger.

Erschreckend sind hier die alltäglichen Verhältnisse. Es folgt ein großes öffentliches Echo, wenn sich Geflüchtete wehren, während die rechten und rassistischen Übergriffe zur Normalität gehören und teilweise viel Verständnis hervor bringen.

Dies alles ist kein neuer Zustand. Wurzen ist seit den 90ern bundesweit ein Begriff für Neonazistrukturen, die fast ungehindert agieren können. Seitdem konnten sich rechte Gewalttäter hier mühelos organisieren und wirtschaftlich etablieren. Über die Region hinweg ist Wurzen genau dafür bekannt, nur in der Stadt selbst versucht man häufig zu bagatellisieren und die Bedrohung woanders auszumachen. Wie groß war die Sorge und wie laut die Befürchtungen von Entscheidungsträgern und Verantwortungsträgerinnen als Menschen eine Demonstration in Wurzen ankündigten, um sich mit den Betroffenen des rechten Terrors zu solidarisieren.

Solange sich diese Haltung in der Stadt nicht ändert, werden die Zustände hier so bleiben. Die gesellschaftliche Reaktion auf die Taten, hat einen enormen Anteil an dem Opfer-werdungs-Prozess, dies belegen alle Viktimisierungsstudien. Werden die rassistischen Vorfälle verurteilt oder bagatellisiert, werden die Betroffenen unterstützt oder ihnen gar eine Mitschuld unterstellt… dies alles ist wesentlich beteiligt an der Gewaltwirkung. Öffentliche Solidarität und Unterstützungsbereitschaft kann deswegen in seiner positiven psychosozialen Konsequenz gar nicht hoch genug bewertet werden.

Das Neue Forum Wurzen ist ein hetzerischer Zusammenhang in dessen Umfeld Gewalttäter beheimatet sind und im Zusammenhang dessen Veranstaltungen Angriffe stattfinden.

Attackiert werden nicht nur Geflüchtete, besonders zu leiden hat das soziokulturelle Zentrum NDK am Domplatz. Es ist Anlaufstelle für viele Menschen mit Rassismuserfahrungen, es ist eine stabile Größe gegen eine rechte Kultur und für alternative und demokratische Angebote. Seit Jahren ist es immer wieder Zielscheibe für Verleumdungen, Drohungen und tätliche Angriffe.

Wir solidarisieren uns mit dem Netzwerk für demokratische Kultur und dessen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und mit den übrigen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt in Wurzen!

Redebeitrag gehalten auf der Demonstration #Wurzen2708: Keine Stimme den Faschos. Den rechten Foren den Raum nehmen!

27.08.2019 Wurzen: Keine Stimme den Faschos. Den rechten Foren den Raum nehmen!

Wurzen
Wir wollen Meinung bilden und einen Gegenpol setzen, in einer Stadt, in der sich besonders linke Aktivisten gezielt in die Öffentlichkeit stellen, Wurzen in ein schlechtes Licht zu rücken und so ihre Daseinsberechtigung durchsetzen wollen.
So begründeten die Betreiber/innen einer rechten Facebook-Seite ihr vermeintliches politisches Engagment in Wurzen. Dieser rechte Kontext ist dabei nur einer, der das Aufkommen und Agieren des »Neue Forum für Wurzen« NFW im März 2018 den Weg ebnete. Als ausschlaggebend für die Gründung des rechten Sammelbeckens wird eine angebliche „linke Meinungshegemonie“ angeführt. Jedoch ist das NFW als weiterer Versuch anzusehen, rechte und rassistische Einstellungen innerhalb der Wurzener Bevölkerung zu bündeln und dem Ganzen einen scheinbar demokratischen Anstrich zu verpassen. Man erhofft sich dadurch, Diskurse und Auseinandersetzungen nach rechts zu verschieben und inhumaner zu gestalten.
Das »Neue Forum für Wurzen« …
… sieht sich in der Tradition des Neuen Forums, einer 1989 in der DDR gegründeten Bürger*innenbewegung, die die Zeit 1989/90 mitprägte. Das NFW versteht sich als Stimme der scheinbar ungehörten Wurzener*innen und gibt sich als Kämpfer für Meinungsfreiheit und Demokratie aus. Wobei es den Oberbürgermeister Jörg Röglin sowie das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) als seine Gegner*innen markiert. Das NFW hetzt dabei gezielt gegen Geflüchtete und vermeintlich offene Grenzen, da es erkannt haben will, dass „die Stadt auf Wunsch der Regierung „neu bevölkert“ werden solle – wohinter sich die Erzählung eines angeblichen Bevölkerungsaustausches verbirgt. Dieses Narrativ spielt eine zentrale Rolle im rechten Denken. Dahinter steckt nicht nur die Angst vor einem angeblichen Volkstod, sondern ebenso das völkische Ansinnen nach der Reinhaltung der weißen „Rasse“ sowie das Streben nach Erweiterung des eigenen, weißen, deutschen Lebensraumes.
… und das Vorgehen gegen das NDK
Hinter den „linke[n] Aktivisten[, die sich] gezielt in die Öffentlichkeit stellen, [um] Wurzen in ein schlechtes Licht zu rücken“ erkennt das NFW vor allem das NDK, das sich für Geflüchtete einsetzt und seit Jahren engagiert, den rechten Machtbestrebungen in und um Wurzen etwas entgegenzusetzen. Das NDK wird dabei als Verein konstruiert, der städtisch und staatlich gelenkt sei und die Meinungsfreiheit in Wurzen unterdrücke. Wobei die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch das NDK laut NFW schon damit beginnt, dass dieses die Kritik an der „vorwiegend muslimische[n] Zuwanderung“ als rechts und rassistisch benennt. Die Meinungsfreiheit des NDK und Anderer endet folglich dort, wo sich das NFW in der eigenen Position und Wahrnehmung angegriffen fühlt.
Seit Bestehen des NFW wird eine gezielte und andauernde Kampagne gegen das NDK gefahren: Neben einer Petition mit dem Ziel, die städtische und staatliche Förderungen des NDK zu streichen, kommen wiederholte (AfD-Landtags-)Anfragen zur Förderung und Finanzierung des NDK hinzu. Diese sollen das von Rechten kolportierte Bild der sogenannten „Staatsantifa“ bestätigen. Diesen verbalen Anfeindungen und Diffamierungen seitens des NFW folgten wiederholte Angriffe auf die Räume des NDK, mit teils erheblichem Sachschaden.
Das NDK gilt als ein (Frei-)Raum für die Unterstützung von Geflüchteten, als Raum für subkulturelle Konzerte und Ort für Veranstaltungen, Begegnungen und des Austausches. Das NFW sowie sein Umfeld – rechte Gruppierungen, die AfD und auch die CDU – wollen diese Struktur angreifen und zerstören. Am einfachsten gelingt so etwas durch Streichung finanzieller Mittel, was auch die AfD-Fraktionen und rechte Mandatsträger/innen auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) durch Anfragen und Anträge bereits vorbereiten oder umsetzen wollen. Dadurch behindern sie gezielt das Arbeiten diverser zivilgesellschaftlicher Projekte.
… und die AfD im Stadtrat Wurzens
Bei den Stadtratswahlen am 26. Mai 2019 erlangten zwei aus dem rechten Kontext stammende Parteien sieben Sitze: Die AfD erhielt vier Sitze (15,7% der Stimmen), das NFW drei (11%). Dies bedeutet mehr als ein Viertel der 26 Sitze im Stadtrat von Wurzen. Beide Parteien haben so jeweils Fraktionsstärke und eine zukünftige Zusammenarbeit wurde durch deren Vertreter*innen mehr als nur angedeutet. Das NFW kündigte bereits an, „gegen ‚Vetternwirtschaft‘ vorgehen zu wollen“ und wird dabei wohl nicht nur das NDK in den Fokus seiner Auseinandersetzung rücken, sondern auch andere ihnen unliebsame Projekte – so äußerten sie sich ebenfalls abfällig gegenüber den Sozialarbeiter*innen in Wurzen, städtischen Klimabemühungen sowie einem hiesigen Frauenprojekt.
Inwieweit die bisher im Stadtrat vertretenen Parteien dies unterstützen werden, ist momentan nicht auszumachen. Jedoch lässt die Äußerung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Matthias Riedler nichts Gutes erahnen: So hofft er, im neu zusammengesetzten Stadtrat auch weiterhin „gute Sacharbeit zum Wohle der Stadt Wurzen“ durchführen zu können. Damit umgeht er eine klare Position im Umgang mit der AfD und dem NFW und schließt eine (themenbezogene) Zusammenarbeit nicht aus.
Auch im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen (Sonntag, 1. September) ist ein Wahlerfolg der AfD ebenso wenig auszuschließen wie ein Tolerieren der AfD durch die CDU im Nachgang der Wahl. Das Agieren der AfD, ob mit oder ohne Regierungsverantwortung, kann erhebliche Probleme schaffen, da u.a. Geflüchteten- und zivilgesellschaftliche Projekte, Frauenhäuser oder auch der Kunst- und Kulturbetrieb staatlicher Förderung bedürfen.
Die AfD möchte jedoch genau diese finanziellen Mittel streichen und für ihre eigene völkische wie misogyne Programmatik nutzen. Exemplarisch hierfür können die ÖVP/FPÖ-Regierung in Österreich, das Vorgehen der PiS in Polen oder die Entwicklungen unter Orban in Ungarn angesehen werden: Die Faschisierung der Gesellschaft erfolgt zum Nachteil der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen*, Geflüchteten und von Armut betroffener Menschen.
… agiert mit Brinsa im rechten Milieu
Mit dabei im neuen Wurzener Stadtrat ist Benjamin Brinsa für das NFW. Brinsa ist Betreiber des neonazistischen Kampfsportvereins »Imperium Fight Team« sowie Teil der Hooligan-Szene vom 1. FC Lokomotive Leipzig. Zugleich waren mehrere Neonazis des »Imperium Fight Team« Teil der Gruppe mit mehr als 250 Neonazis, die im Januar 2016 eine Straße in Connewitz angriffen. Diese Neonazis beteiligten sich ebenfalls an den rassistischen Aufmärschen in Chemnitz im August 2018, bei denen es auch immer wieder zu rechten Übergriffen gekommen ist.
Rechte die beim »Imperium Fight Team« trainieren, waren im Nachgang an ein Spiel gegen den Roten Stern Leipzig im Mai 2019 an einem Angriff auf das NDK beteiligt. Zudem waren weitere Neonazis, die bei »Imperium« trainieren an dem gewalttätigen und rassistisch-motivierten Übergriff auf einen senegalesischen Türsteher in einer Disco auf Mallorca beteiligt. Der „Reisegruppe“ im Juni 2019 auf Mallorca sollen 70 Personen aus dem Umfeld von Lok Leipzig sowie dem »Imperium Fight Team« angehört haben.
Situation in der Kamenzer Straße 
Trainingsstätte des »Imperium Fight Team« ist seit 2017 die Kamenzer Straße 10 in Leipzig-Schönefeld. Vom Sommer 1944 bis April 1945 befand sich in der heutigen Kamenzer Straße 10/12 und dem angrenzenden Areal das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Über 5000 Frauen und Mädchen mussten für den Rüstungskonzern Hugo-Schneider-AG (HASAG) schwere Zwangsarbeit leisten. Dabei handelte es sich primär um als „politisch“ und „jüdisch“ deportierte Polinnen. Viele überlebten die lebensunwürdigen Bedingungen des Lagers nicht. Seit 2007 befindet sich der historische Ort im Besitz einer Person, die seit Jahrzehnten Verbindungen in die Neonazi-Szene unterhält. Hier fanden und finden rechte Konzerte, aber auch „unpolitische“ Elektropartys statt. Organisierte Neonazis, Rocker und Hooligans nutzen die Gebäude zur Vernetzung und als Lagerort für ihre Infrastruktur.
Rechte Gewalt in Wurzen
Doch auch ohne das Bestehen des NFW existiert seit jeher ein Problem mit neonazistischen Strukturen und von ihnen ausgehender Gewalt. Der rechte Terror in Wurzen hält weiter an. Immer wieder werden geflüchtete Menschen in der Stadt bedroht, verfolgt und verletzt. Auch das NDK wurde seit seiner Gründung mehrmals angegriffen. So wurde bereits 2004 ein Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des NDK verübt. Das Ziel der Neonazis ist es, alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, aus der Stadt zu vertreiben. An diesem Ziel werden sie von der Stadtverwaltung und der Polizei nicht gehindert.
Den Rechten den Einzug vermiesen
Am 27. August findet die erste Sitzung des Wurzener Stadtrats nach der Kommunalwahl im Mai 2019 statt. Das NFW ruft an diesem Tag zu einem „kleine[n] Freiheitsfest“ auf. Hierfür wollen die Rechten vom Marktplatz aus ins Rathaus marschieren. Diesen Aufzug gilt es nicht unwidersprochen zu lassen.
Kommt daher am Dienstag, 27. August 2019, nach Wurzen, um den Rechten ihr „Freiheitsfest“ zu vermiesen.
Beginn der Demonstration ist 16:30 Uhr am Bahnhof in Wurzen.


Für Anreisende per Zug aus Leipzig: Es gibt einen Zugtreffpunkt – 15:40 Uhr am Infopoint im Hauptbahnhof. Der Zug fährt Richtung Wurzen an Gleis 21 um 16:00 Uhr ab.


Den Faschist/innen keinen Raum – nicht auf der Straße, nicht im Stadtrat/Parlament und auch nicht im Diskurs.