Redebeitrag Eisenach: NSU

Redebeitrag “NSU”

Redebeitrag zum Nationalsozialistischem Untergrund (NSU), 16.03.2019 Eisenach
Bündnis Irgendwo in Deutschland
Die Erfahrungen aus dem NSU-Komplex stellen für uns eine Zäsur im Herangehen an antifaschistische Politik dar. Neben einem Versagen von Politik, Medien, Sicherheitsbehörden und bürgerlicher Zivilgesellschaft war der NSU-Komplex eben auch ein Versagen der Linken. Die größte rassistische Mord- und Terrorserie in der Geschichte der BRD blieb – bis zur Selbstenttarnung des NSU – unbemerkt. Die Stimmen der Betroffenen, die schon während der Mordserie auf das Tatmotiv “Rassismus” hinwiesen, blieben ungehört. Eine Linke, die es mit Antirassismus und Antifaschismus ernst meint, muss sich dieses Versagen offen eingestehen und daraus selbstkritische Schlüsse ziehen.
Aber in welchem Kontext steht der NSU dazu, dass wir heute in Eisenach auf die Straße gehen? Man könnte über die Südthüringer Naziszene der 90er Jahre sprechen, in welcher das spätere NSU-Kerntrio Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt sowie viele weitere Mitglieder des Netzwerkes politisch sozialisiert wurden. Oder man könnte diskutieren, ob Menschen in Stresssituation – wie etwa nach einem Banküberfall – an Orte flüchten, an denen sie sich sicher fühlen und wo sie auf Unterstützung hoffen können. Man könnte auch ein brennendes Wohnmobil sowie die miserable Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Spurensicherung thematiseren. Aber statt uns an den konkreten Bezügen des NSUs nach Eisenach abzuarbeiten, erscheint es uns sinnvoller den zentralen Imperativ stark zu machen, den die selbstkritische Linke aus dem NSU gezogen haben sollte und der unter anderem einen Grund darstellt, Eisenach zum Ziel einer unversöhnlichen Intervention zu erklären:
Nie wieder soll rechter Terror Menschen schädigen. Um dies zu verhindern gilt es bewaffnete und gewalttätige rechte Strukturen sowie ihr Unterstützer*innenfeld anzugreifen.
Ganz konkret folgt aus diesem Imperativ für uns Folgendes:

  1. Nazis dürfen sich nicht als legitime Verstrecker*innen des vermeintlichen oder tatsächlichen Volkswillens fühlen. So gilt es, auf der einen Seite diskursiv in öffentliche Debatten zu intervenieren, um keine rechte Diskursverschiebung oder gar eine Diskurshoheit zuzulassen. Auf der anderen Seite kann nicht zugelassen werden, dass das tatsächliche Vollstrecken eines rechten Programmes ohne Konsequenzen bleibt. Wir wissen, dass wir uns hierbei nicht auf den Staat und seine Organe verlassen können. Wenn Nazis ihr rassistisches Programm ausleben wollen, darf die einzige Antwort militanter Antifaschismus sein.
  2. Dies zielt auch auf ein grundlegendes Verständnis des Staates, bzw. staatlichen Insititutionen ab: solcherlei Institutionen sind keine Partnerinnen im Kampf gegen die extreme Rechte. Im besten Falle ignorieren sie das Problem so lange, bis es nicht mehr zu ignorieren ist. Im schlimmsten Falle führen sie selbst ein rassistisches Programm aus und drangsalieren Betroffene und engagierte Antifaschist*innen. Eine Auseinandersetzung mit extrem rechten Ideologien in einer Gesellschaft ist aber nur dann möglich, wenn deren Vorhandensein erkannt und eingestanden wird. Oder plakativer gesprochen: Ein Problem kann nur gelöst werden, wenn überhaupt ein Problembewusstsein besteht.
    In der BRD würde dies bedeuten, nazistische Kontinuitäten einzugestehen und zu reflektieren, wie diese den Staatsaufbau und den deutschen Nationalismus geprägt haben. Konsequenter Antifaschismus und Antirassismus muss daher immer antinational und gegen den Staat gerichtet sein und darf sich nicht für Imagepflege vor den Karren der Nation, des Staates oder der Stadt spannen lassen.
  3. Auch das Verhältnis zwischen Nazis und “ganz normalen” Bürger*innen gilt es zu reflektieren. Es wäre zu einfach, Rassismus zum gezielt eingesetzten Herrschaftsinstrument zu erklären. Er und die daraus resultierende Ausgrenzung von all jenen, die als nicht deutsch wargenommen werden war und ist Teil der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland. Ein Verständnis dieses tief verwurzelten Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist wiederum nicht ohne den Blick auf die nationalsozialistischen Kontinuitäten in der deutschen Geschichte möglich. In einer ressentiementgeladenen Dynamik zwischen einfacher Bevölkerung, gesellschaftlichen Funktionseliten und Nazis kulminiert der Diskurs immer wieder in offen zur schau gestelltem Rassismus. Einen Ausdruck findet dies etwa auch immer in der deutschen Auslegung des Liberalismus mit “Rechten reden zu müssen”. Als seien offener Rassismus und Menschenverachtung eine diskutable Position. Die Erfolge der AfD und der Rechtsruck im Parteienspektrum verweisen eher darauf, dass Rassimus aber als realer ideologischer Bezugspunkt, statt als ein kritikables Objekt betrachtet wird.
    Solch ein Klima führt dazu, dass diejenigen, die den Dissenz gegenüber menschenfeindlichen Ideologien offen aussprechen oder auf die Straße trägt, um die Friedhofsruhe zu durchbrechen zu Nestbeschmutzer*in erklärt werden. Um die Friedhofsruhe zu vertreiben, reichen aber ein, zwei kraftvolle Demonstrationen nicht aus. Es geht darum dauerhaft gesellschaftliche Gegenwehr, gegen die Zumutungen einer rassistisch organisierten Gesellschaft zu entwickeln – und dies vor allem auch abseits von großen Städten.
  4. All dies führt dazu, dass die Stimme derjenigen, die unter Institutioneller Rassismus, gesellschaftlich tief verankerte menschenfeindliche Ideologien sowie die aggressive Leugnung von deren Vorhandensein zu leiden haben, ungehört bleibt. Dass dieses Wissen über Rassismus unter (Post-)Migrant*innen verbreiteter ist als in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, zeigte sich schon während der NSU noch mordete: 2006, als in Kassel und Dortmund tausende türkische und kurdische (Post-)Migrant*innen für die Aufklärung der Morde an Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat und ein Ende der Mordserie demonstrierten, war die Frage nach einem rassistischen Tathintergrund allgegenwärtig. Adile Şimşeks Appel “Ermittelt gegen Nazis!” wurde beharrlich ignoriert. Bewohner*innen der Keupstraße in Köln, die nach dem Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 gegenüber den Ermittlungsbehörden geäußert hatten, dass dies doch nur Neonazis gewesen sein könnten, wurden sogar mit Drohungen zum Schweigen gebracht. Es liegt an uns als linke Bewegung, diese Stimmen zu hören und zu verstärken.

Redebeitrag Eisenach: Es muss alles ganz anders sein.

Es muss alles ganz anders sein

Redebeitrag zum Konzept„Unversöhnliche Intervention“, 16.03.2019 Eisenach
Bündnis Irgendwo in Deutschland, Hier abgemischt nachhören
 
Dies ist eine unversöhnliche Intervention. Wir sind heute nicht mit offenen Armen und Erklärungen hier. Wir suchen hier nicht nach neuen Verbündeten, denen bis eben noch egal war, dass Menschen angegriffen und durch die Straßen dieser Stadt gejagt werden. Wir wollen nicht verstehen, warum Leute sich dazu entschließen zu Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu schweigen, sie zu tolerieren, zu verharmlosen oder mitzumischen. Wir wollen ein deutliches Zeichen setzen gegen Nazis und den rassistischen Normalzustand in Eisenach.
Zeigt uns, wo ihr steht – denn wir kommen, um zu spalten. Wir freuen uns, bei jeder Demonstration, dass wir nicht alleine auf der Straße sind. Wir freuen uns, auch in den entlegensten und fiesesten Orten in Kaltland auf Freund*innen einer besseren Gesellschaft zu treffen. Wir grüßen euch, lasst euch nicht unterkriegen! Wir sind auch aus Solidarität mit den Betroffenen der Nazigewalt und rassistischen Angriffe auf der Straße.
Wir sind hier, um die lange Liste an Nazi-Angriffen und rassistischer Gewalt nicht unbeantwortet zu lassen. Wir kommen, um den Ruf dieser Stadt in den Dreck zu ziehen. Wir teilen nicht mehr in gute und schlechte Bewohner*innen, schreiben nicht „Ja, aber“. Warum auch? Wir sind hier, weil es so wie es ist, nicht weitergehen kann. Weil das Ergebnis dieser Stadtgesellschaft Angst und Terror sind. Angst bei allen, die nicht in das völkische Weltbild passen und die dabei nicht mitmachen wollen oder können.
Wir kommen um aufzudecken. Wir kennen die Reflexe auf linke Demonstrationen, die Angriffe und Abwehr von Seiten der lokalen Medien, der Naziszene und der Bürger*innen. Wir halten der vergemeinschafteten Bevölkerung den Spiegel vor. Die herrschenden Zustände entlarven sich selbst, sobald Kritik von außen auftritt. Wie einig sich hier eigentlich alle – von Nazis bis ins Rathaus – sind, wie leicht sich alle auf einen Feind, einigen können, wenn die völkische Ruhe gestört wird. Wir beweisen es seit der Anmeldung unserer Demonstration.
Wir kommen um von Menschen abzulenken, die hier leben müssen und suchen die Auseinandersetzung, lassen uns angreifen.
Wir kommen als Anklage. Wir wollen zeigen, dass das, was hier als normal oder angemessen gilt, andernorts verurteilt wird. Wir kommen in Orte wie Eisenach, Wurzen oder Zwickau, wo Staat und lokale Gesellschaft versagen, wo Menschen nicht sicher leben können.
Wir wollen die „Kosten für das Ausleben des Rassismus in die Höhe treiben“. Wir wollen, dass Eisenach, ebenso wie Heidenau, als Bildnis für den rassistischen Normalzustand dasteht. Wir wollen Presseartikel, wir wollen eine öffentliche Debatte, wir wollen eine Schlammschlacht. Wir wollen, dass der Tourismus einbricht, dass hier keine Unternehmen ansiedeln und die bestehenden wegziehen, dass der rassistische Alltag wenigstens sichtbar wird. Wir glauben nicht daran, dass die Leute plötzlich einsehen, das ihr Rassismus in Mord und Totschlag endet und deshalb falsch ist. Wir glauben aber daran, dass er unterdrückbar ist, wenn die Folgen zu schwerwiegend sind.
Wir wissen auch, dass die Kräfteverhältnisse nicht zu unseren Gunsten stehen. Wir wollen Druck und wir fordern Handeln. Doch wir sind realistisch: Wir wissen, dass viele Reaktionen auf unsere Interventionen Lippenbekenntnisse waren, beispielsweise durch die lokale Politik, etwas gegen Rassismus zu unternehmen. Eisenach und andere Orten sind nicht per Dekret entnazifizierbar. Rassist*innen ändern ihre Einstellung nicht. Das haben sie zur Genüge bewiesen. Aber wenn wir ihnen ihr Handeln erschweren, Übergriffe gar verhindern und eine größere Öffentlichkeit dafür erzeugen, ist viel gewonnen.
Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln. Es muss alles ganz anders sein

Pressemitteilung: Wo Rechte Gesinnung unwidersprochen bleibt, treibt sie Wurzeln

Für den 16.3.2019 ruft das bundesweite antifaschistische Bündnis “Irgendwo in Deutschland” zu einer Demonstration in Eisenach auf.
In den lokalen Medien wurde im Vorfeld der Demonstration ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen anstatt dem Anliegen der Demonstration Raum zu geben. So titelte etwa die Bildzeitung: “Chaoten wollen Eisenach stürmen”, der Innenminister meinte, es sei an der Zeit zu gewaltlosem Protest aufzurufen, Geschäften wurde von Seiten der Stadt geraten, nicht zu öffnen.
Hierzu erklärt Stefan Nowak, Sprecher des Bündnisses:

“Die Panikmache in Eisenach hat System. Unsere Kritik an den ungestörten Naziaktivitäten vor Ort wird so zur Bedrohung, mit der sich nicht auseinandergesetzt werden muss.”

Abgelenkt werde von einer rechten Stimmung in der Wartburgstadt:

“Seit Jahren dominieren rechte Graffitis und Aufkleber das Stadtbild, es kam zu zahlreichen Angriffen von Neonazis auf ihre Feinde. Gegen die jahrelange nazistische Gewalt in Eisenach hat sich kein Innenminister ausgesprochen.“

Wir wollen heute gemeinsam mit Antifaschist*innen aus vielen Städten den Leuten aus Eisenach den Rücken stärken, die sich gegen diese Zustände engagieren. Sie werden von der Stadtgesellschaft zu häufig allein gelassen, den Nazis werden keine Grenzen gesetzt.

“Erst durch Ignoranz, Anerkennung und Unterstützung der selbsternannten Mitte werden Neonazis zu der Gefahr, die sie beispielsweise in Eisenach sind. Wir kommen, um diesen Zustand aufzudecken.”

Denn:

“Wo Rechte Gesinnung unwidersprochen bleibt, treibt sie Wurzeln. An Orten wie Zwickau, Wurzen oder Eisenach wachsen dann die rechten Terrorgruppen heran. Hier in Eisenach wurde im letzten Jahr Geld für NSU-Terrorist André Emminger gesammelt. Das kollektive Wegsehen in der Stadt ist Dünger für die erstarkende Naziszene.”

Es stünde der lokalen Politik gut zu Gesicht, sich nicht zur Erfüllungsgehilfin der Naziszene zu machen, indem die antifaschistischen Protest von vornherein deligitimiert.
 
Irgendwo in Deutschland, 16.03.2019