Wurzen, Kaltort-Ranking 2018

Wurzen

Einwohner*innenzahl: 16 364 Menschen (Stand: 2015)
Selbstbezeichnung: Stadt der Erdnussflips / Ringelnatz-Stadt / Hamburg 2.0 / „Tor“ zum Muldental
Wurzen hat sich schon 2017 für den Kaltort beworben und konnte sich dennoch nicht gegen Bautzen durchsetzen, dies ist völlig unverständlich, zur Erinnerung:
„Die Stadt Wurzen liegt versteckt im Umland der einzigen sächsischen Großstadt Leipzig. Das braune Herz des Muldentals hat eine lange Tradition von authentischer Gastfeindschaft und extremer Tristesse. Wurzen ist seit Jahren eine Hochburg rassistischer Bewegungen und organisierter Nazistrukturen und war bereits in den 1990er Jahren bekannt als eine sog. No-Go Area. Auch in diesem Jahr hat die Stadt dahingehend ihrem Namen wieder einmal alle Ehre gemacht. Schon in der Nacht zum 15. Januar 2017 wurde eine Wohnung von Geflüchteten in Wurzen angegriffen, es wurden Fenster eingeschlagen, Pyrotechnik und ein Verkehrsschild in die Räume geworfen. Die örtliche Polizei traf erst ein, als der Angriff auch durch zwei mehrheitsdeutsche Anwohner*innen gemeldet wurde. In der Nacht vorher wurde dieselbe Wohnung bereits angegriffen und es wurden rassistische Parolen gerufen. Im Juni 2017 rotteten sich 60 Personen zusammen und versuchten eine Wohnung von Geflüchteten zu stürmen. Das sind zwei Beispiele zahlreicher Angriffe aus den letzten Jahren. Wie krass diese Bedrohung ist verdeutlicht der Fakt, dass Geflüchtete als Reaktion darauf nicht mehr in Erdgeschosswohnungen untergebracht werden. Zuletzt wurden in der Nacht zum 14.12. die Scheiben der Wohnung eines Geflüchteten mit Pflastersteinen eingeschlagen. Die Täter hinterließen außerdem antisemitische Aufkleber mit Fussballbezug am Tatort“
Bei einer antifaschistischen Demonstration 2017 schickte der Freistaat Sachsen unter der Führung des Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz (kandidiert für die CDU zur Landtagswahl 2019) fünf Wasserwerfer, mehrere hundert Polizist*innen und ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei nach Wurzen um die örtliche Kameradschaftsszene vor den Antifaschist*innen zu schützen. So trug ein SEK Beamter an seiner Uniform ein Patch mit Odins Raben, der sich in Neonazikreisen großer Beliebtheit erfreut und bei einem örtlich ansässigen Neonaziversand erhältlich ist.
Das Jahr 2017 endete und 2018 begann in Wurzen, wie die vergangenen Jahre auch:
30.12.2017 Ein Jugendlicher aus Somalia wird am Nachmittag auf dem alten Friedhof von einer Gruppe Jugendlicher verbal und anschließend körperlich attackiert und dabei leicht verletzt. Seit mehreren Wochen gibt es auf dem Areal um den Bahnhof immer wieder Angriffe gegen sich dort aufhaltende oder den Park passierende Geflüchtete. Verantwortlich ist mutmaßlich eine Gruppe junger Neonazis. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4175.html
01.01.2018 Laut einer kleinen Anfrage zu rechter Gewalt, bewarf ein bisher unbekannter Täter eine aus Eritrea stammende Person mit einem Gegenstand. Es wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4152.html
12.01.2018 Im Wurzen greifen rechte Jugendliche ein von Migrant*innen bewohntes Haus an. 30 dunkel gekleidete Personen sind am Freitagabend vor ein Wohnhaus, in dem mehrere Geflüchtete und Migrant*innen wohnen, gezogen. Die Eingangstür wird mit einem schweren Steinbrocken eingeworfen, danach stürmen vier Personen mit Sturmhauben in das Treppenhaus. Im dritten Stock zerstören Sie die Wohnungstür und dringen in die Wohnung ein. Hier bedrohen Sie die Bewohner*innen. Treten einer Person in den Bauch. Als diese zu Boden geht, folgt ein Tritt aufs Handgelenk. Ein Mann mit einer Holzstange schlägt auf den Oberarm. Als die Polizei draußen anrückt, fliehen die Angreifer. Auch Geflüchtete in den oberen Stockwerken wurden verprügelt. Vor dem Angriff soll es laut Polizeibericht eine “wohl noch rein verbal[e]” Auseinandersetzung zwischen “Ausländern” und deutschen Jugendlichen im Stadtpark gegeben haben. Die “Ausländer” hätten sich darauf in ihr Wohnhaus zurückgezogen. Zwei Deutsche hätten dort die Haustür beschädigt. Darauf seien ihnen einige Migranten gefolgt und wiederum auf die große Gruppe getroffen. Die habe Sie zurück zur Unterkunft gejagt, worauf zwölf Bewohner mit Messern und Knüppeln die Verfolger angriffen – die dann das Haus stürmten. Das Resultat: ein 16- und 21-jähriger Deutscher mit Messerstichen am Oberschenkel und drei verletzte Geflüchtete. – https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4085.html
Wurzen: Auf eine Wohnhaus in der Dresdner Straße, in welchen auch geflüchtete Familien und Menschen leben, findet ein mutmaßlich bereits Tage vorher geplanter Angriff statt. Beteiligt sind bis zu 40 Deutsche, wovon ein nicht unerheblicher Teil der lokalen Naziszene zugerechnet werden kann. https://www.ndk-wurzen.de/was-wir-machen/dokumentation/messerstecherei-bei-geplantem-angriff-auf-wohnhaus-von-gefluechteten/
15.01.2018 Laut einer kleinen Anfrage zu rechter Gewalt, bewarf ein bisher unbekannter Täter eine aus Eritrea stammende Person mit einem Gegenstand. Es wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4172.html
20.01.2018 Am Rand einer antifaschistischen Kundgebung unter dem Motto “Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt” in Wurzen drohen mehrere Neonazis Demonstrant*innen als auch Journalist*innen mit dem Tod. Die Gruppe der Neonazis hielt sich offenbar auf dem Grundstück einer Werkstatt, welche der rechten Szene zu gerechnet wird, auf. Vorher hatten Sie und weitere Neonazis mehrfach versucht die Kundgebung zu stören. Als Sie bemerkten, dass sich Journalist*innen dem Grundstück näherten, stürmten bis zu sieben Neonazis vermummt mit Baseballschläger, Teleskopschlägern, CS-Gas und einem langen Messer auf die Straße. Fünfzig Meter jagten die Neonazis hinter den Journalist*innen her. Als Gegendemonstrant*innen und Polizist*innen auf die Straße einbogen, zogen sich die Angreifer vorerst zurück. Der Fotojournalist Sören Kohlhuber sagte der LVZeine Person mit blauer Jacke und Messer nahm es an seinen Hals und machte zu mir eine Halsabschneide-Gestik.“ Von dem Angriff selbst erfuhr die Polizei nach eigenem Bekunden erst aus den sozialen Netzwerken (Twitter). Als Polizist*innen eintrafen, versteckten die Neonazis ihre Waffen in dem Gebäude. Zehn Beamte sprachen mit den Neonazis, betraten kurz darauf die Werkstatt. Waffen finden Sie keine. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4081.html
05.02.2018 Bei einem rechten “Stadtrundgang” mit circa 50 Personen, darunter etwa ein Dutzend sogenannte Autonome Nationalisten, wurden Journalisten beleidigt und bedrängt. Die Polizei schritt ein und untersuchte einen bekannten Neonazi. Dies sind nicht die ersten Einschüchterungsversuche der Wurzener Neonaziszene gegenüber Journalisten. Auch bei vorherigen Kundgebungen wurden Fotografen und Journalisten bedroht und genötigt die Demonstration zu verlassen. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4110.html
08.02.2018 Wieder gab es einen rassistischen Übergriff in Wurzen. Laut einer kleinen Anfrage zu rechten Straftaten, wurde am 8. Februar mindestens ein Iraker in Wurzen geschlagen und dabei leicht verletzt. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4208.html
23.02.2018 Eine im 7. Monat schwangere Frau aus Eritrea wurde offenbar direkt vor ihrem Wohnhaus von zwei Personen beleidigt, geschlagen und getreten. Die junge Frau konnte sich anschließend in ihre Wohnung retten, von der aus sie eine Betreuerin zu Hilfe rufen konnte. Ihre leichten Verletzungen konnten ambulant behandelt werden, das ungeborene Kind ist nicht in Gefahr. Die beiden Täter konnten nur als schwarz gekleidet beschrieben werden, die Polizei ermittelt. Dies ist nicht der erste rechtsextreme Übergriff auf Ausländer in Wurzen. Erst in der Nacht vom 16. zum 17. Februar wurde ein 19-jähriger, ebenfalls aus Eritrea, angegriffen und erheblich verletzt. https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-4144.html
…. Die Angriffe und Bedrohungen gingen das Jahr über weiter. Es gründete sich ein rechte Bürgerinitiative “Neues Forum Wurzen”, welches noch mit Veranstaltungen und Demonstrationen den schon vorhandenen gesellschaftlichen Rassismus im Ort kanalisierte. Dieses „Forum“ hat auch Ambitionen im Stadtrat mit Neonazis und AfD zu wirken.
Zum Angriffsversuch auf die antifaschistische Kundgebung im Januar gibt es auch Verurteilungen, gegen Antifaschist*innen, die sich gegen die Neonazis stellten, nicht gegen die bewaffneten Neonazis, die versuchten anzugreifen. Urteile gegen Neonazis aus Wurzen gibt es nicht, sie können immer weiter machen und tun dies auch.
In Wurzen kann sich genau angeschaut werden, was es bringt “mit Rechten zu reden”, dies ist hier nämlich seit mehr als 20 Jahren gängige Praxis, ob Politiker*innen, Journalisten*innen, Polizei oder Menschen aus der Verwaltung, geredet wird mit Rechten hier schon immer. Das Ergebnis ist ein in weiten Teilen getragener völkischer Konsens, der sich noch nie daran gestört hat, dass Neonazis und RassistInnen daran arbeiten die Region von „nicht Deutschen frei zu halten“.
Im Gegenteil, Wurzen zeigt wie eng die Bande zwischen lokaler Politik, Polizei, Medien und Neonazis ist. Es zeigt sich leider auch, wie wenig die wichtige und schwere Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen, auch über 20 Jahre in der Stadt, an diesen Zuständen ändern kann.
Trotz alledem muss die Auseinandersetzung mit diesen sächsischen Zuständen immer wieder gesucht werden, auch gerade in Wurzen und Regionen, die von faschistischen Strukturen kontrolliert werden. Ein Schritt ist das Öffentlichmachen dieser Verhältnisse, gerade wenn es lokale Medien nicht mehr tun, weil sie mit den braunen Netzwerken schon verbandelt sind. Den Titel „Kaltort des Jahres“ hat Wurzen sich über Jahrzehnte verdient.
 
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