Ort: Köln
Einwohner*innenzahl: 1.060.582
Selbstbezeichnung: Zentrum rheinischen Frohsinns, Domstadt, „Mir sin all Jecke“
Köln hat sich seit 2016 von der Stadt zum rassistischen Schlagwort verwandelt. Dank ‚Köln‘ fühlten sich deutsche Medien und Politiker_innen endlich bestätigt in ihrer rassistischen Vorstellung: Die erheblichen sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 am Kölner Hauptbahnhof hätten die Bedrohung durch ‚die Flüchtlinge‘ bewiesen. Im Sommer 2015 seien sie von den ‚Deutschen‘ mit offenen Armen empfangen worden (sowie mit Fregatten, Stacheldraht, Maschinengewehren und Brandanschlägen in überfüllten Turnhallen und Abschiebungelagern; aber wen interessiert das schon?) – mit ‚Köln‘ aber hätten ‚die Flüchtlinge‘ ihr Gastrecht jedoch endgültig missbraucht. So klang es aus Kaltlands Schreibstuben und selbst international konnten Trump, Orbán und Konsort_innen mit ‚Köln‘ gegen refugees hetzen.1
‚Köln‘ ermöglichte eine enorme Diskursverschiebung in der deutschen Öffentlichkeit, die darauf abzielte, jetzt endlich einmal die Wahrheit über ‚die Flüchtlinge‘ zu sagen. Diese rassistische Debatte ermöglichte unter anderem die Verabschiedung eines neuen (und durchaus progressiven) Sexualstrafrechts, führte zu einer weitreichenden Veränderung des Pressekodex und zu mehreren drastischen Verschärfungen des Asylrechts.
Denn: Ein zweites ‚Köln’ dürfte es nicht geben!
Welche Maßnahme wählte die Kölner Polizei also zum nächsten Silvester? Racial profiling, wie es offensichtlicher kaum geht. Wie ein Journalist, der vor Ort war, eindrücklich schildert, hatte die Polizei kurzerhand zwei Ausgänge eingerichtet: ‚Arier’ mussten durch den linken, der Rest durch den rechten Ausgang.2 Die einen dürfen feiern, die anderen landen im Polizeikessel, werden kontrolliert und durchsucht.
So weit, so widerlich, so deutsch.
Besonders aufschlussreich war jedoch die anschließende Debatte. In den ersten Tagen war noch Kritik zu vernehmen: Einige Medien fragten, „was bitteschön ein Nafri“ sei?3 Und die Vorsitzende der Grünen, Simone Peters, formulierte zaghaft: „Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden.“
Doch das brachte die deutsche Seele zum Kochen: Kritik an unserer Polizei? Und dann auch noch ein Rassismusvorwurf? „Schäbig”, „fundamentalistisch“ und „dumm“ „dümmer“ „GRÜFRI*“ findet des deutschen Mobs lautestes Organ.4 Der allseits präsente Polizeigewerkschafter Rainer Wendt („Racial Profiling hat es bei der Polizei nie gegeben“) teilt mit, „die Sicherheitskräfte in Köln haben hervorragende Arbeit geleistet und schwere Straftaten verhindert“5, und der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sekundierte lapidar: „Manchen Leuten – auch bei den Grünen – kann man es nie recht machen.“6
Der Tiefpunkt der Debatte aber war erreicht, als Peter aus ihrer eigenen Partei heraus zerlegt wurde: Katrin Göring-Eckardt empfand Peters Fragen als „sinnlose Debatte“, Cem Özdemir meinte, die Polizei habe ihren Job „richtig und gut gemacht“, dass mit NAFRI sei „dämlich“, aber „erledigt“.7 Irene Mihalic teilte „diese pauschale Kritik nicht.“8 Und Omid Nouripour meinte, „Vorwürfe an die Polizei vom Schreibtisch aus“ seien „nicht sinnvoll – für die Bewertung der Arbeit gibt es gewählte parlamentarische Gremien“.9 Kölner Grüne wurden noch deutlicher. Ein Bezirksbürgermeister bezeichnete Peters Aussagen als „ehrabschneidend und perfide“, der Vorsitzende der NRW-Landtagsfraktion hatte „selten so was Bescheuertes von einer Bundesvorsitzenden gehört“.10 Genau, schließlich hatte der Polizeisprecher doch gesagt, „dass die Kontrollen grundsätzlich anlass- und verhaltensbezogen waren und nicht einfach an Äußerlichkeiten anknüpften“.11
‚Köln‘ hat nicht nur gezeigt, dass stumpfer Rassismus flächendeckende Verbreitung findet und das Volk autoritäre Maßnahmen gegen jene, die als ‚Volksschädlinge‘ ausgemacht werden, jederzeit bereitwillig absegnet und auf den Rechtsstaat gerne verzichtet. Es hat auch deutlich gemacht, dass die leiseste Kritik an diesem Zustand gnadenlos niedergemacht wird. Und wenn dann zwei Wochen später rauskommt, dass unter den Kontrollierten mehr Deutsche als „NAFRIS“ waren,12 und dass Peters so wie alle anderen Kritiker_innen Recht hatten, dann interessiert das niemanden mehr. Hauptsache ist: ‚Unsere Polizei‘ hat ‚unsere Frauen‘ diesmal erfolgreich vor ‚dem Ausländer‘ geschützt. Aber ‚wir‘ sind nicht rassistisch.
Köln ist der Inbegriff von #kaltland!
1 So mit gänzlich anderer Bewertung auf Welt online: https://www.welt.de/politik/ausland/article150918354/So-spottet-das-Ausland-ueber-die-Koelner-Silvesternacht.html
2 https://www.n-tv.de/politik/Wer-feiern-darf-und-wer-nicht-article19445146.html
3 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/silvester-kontrollen-in-koeln-was-bitteschoen-ist-ein-nafri-a-1128172.html
4 Zitieren wir nicht!
5 https://www.welt.de/politik/deutschland/article160768922/Gruenen-Chefin-stellt-Rechtmaessigkeit-der-Polizeikontrollen-infrage.html
6 https://www.welt.de/politik/deutschland/article160810739/Vorwuerfe-vom-Schreibtisch-aus-sind-nicht-sinnvoll.html
7 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/cem-oezdemir-koeln-polizeieinsatz-simone-peter
8 https://www.welt.de/debatte/kommentare/article160809030/Die-Polizei-kann-es-kaum-allen-recht-machen.html
9 https://www.welt.de/politik/deutschland/article160810739/Vorwuerfe-vom-Schreibtisch-aus-sind-nicht-sinnvoll.html
10 http://www.taz.de/!5367453/
11 http://www.taz.de/!5367453/
12 https://www.welt.de/politik/deutschland/article161139307/Koelner-Polizei-korrigiert-Angaben-zur-Silvesternacht.html