Wurzen, Kaltort-Ranking 2017

Ort: Wurzen
Einwohner*innenzahl: 16.992 Menschen (Stand: 2008)
Selbstbezeichnung: Stadt der Erdnussflips/Ringelnatzstadt/Hamburg 2.0
Die Stadt Wurzen liegt versteckt im Umland der einzigen sächsischen Großstadt Leipzig. Das braune Herz des Muldentals hat eine lange Tradition von authentischer Gastfeindschaft und extremer Tristesse. Wurzen ist seit Jahren eine Hochburg rassistischer Bewegungen und organisierter Nazistrukturen und war bereits in den 1990er Jahren bekannt als eine sog. No-Go Area. Auch in diesem Jahr hat die Stadt dahingehend ihrem Namen wieder einmal alle Ehre gemacht. Schon in der Nacht zum 15. Januar 2017 wurde eine Wohnung von Geflüchteten in Wurzen angegriffen, es wurden Fenster eingeschlagen, Pyrotechnik und ein Verkehrsschild in die Räume geworfen. Die örtliche Polizei traf erst ein, als der Angriff auch durch zwei mehrheitsdeutsche Anwohner*innen gemeldet wurde. In der Nacht vorher wurde dieselbe Wohnung bereits angegriffen und es wurden rassistische Parolen gerufen. Im Juni 2017 rotteten sich 60 Personen zusammen und versuchten eine Wohnung von Geflüchteten zu stürmen. Das sind zwei Beispiele zahlreicher Angriffe aus den letzten Jahren. Wie krass diese Bedrohung ist verdeutlicht der Fakt, dass Geflüchtete als Reaktion darauf nicht mehr in Erdgeschosswohnungen untergebracht werden. Zuletzt wurden in der Nacht zum 14.12. die Scheiben der Wohnung eines Geflüchteten mit Pflastersteinen eingeschlagen. Die Täter hinterließen außerdem antisemitische Aufkleber mit Fussballbezug am Tatort, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass es sich hierbei um Nazi aus dem Spektrum von Lok Leipzig handelte.
Doch es ist nicht alles braun in Wurzen. Neben den gelblich glänzenden Erdnussflips gab es in diesem Jahr einen weiteren kurzen Lichtblick innerhalb des völkischen Normalzustands. Anlässlich des „Tag der Sachsen“, dem größten sächsischen Volksfest, das an seiner Widerwärtigkeit kaum zu überbieten ist und zeitgleich im Kaff Löbau stattfand, fanden sich am 02.09.2017 einige hundert Antifaschist*innen zu einem get together in der Muldenstadt zusammen – zum Schrecken eines Großteils der örtlichen Bevölkerung. Entgegen der Erwartungen der Antifas, vor Ort kostenlos mit Erdnussflips verkostet zu werden, stand am Wurzener Bahnhof eine bedrohliche Kulisse aus fünf Wasserwerfern und einem Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei bereit. Ein SEK Beamter zeigte sich im passenden Outfit – an seiner Uniform trug er ein Patch mit einem heidnischen Symbol, das sich in Nazikreisen großer Beliebtheit erfreut und bei einem örtlich ansässigen Naziversand erhältlich ist. Die Angst der lokalen Bevölkerung war überall zu spüren – „Einige Hausbesitzer verbarrikadierten sich mit heruntergelassenen Rolladen, andere schraubten Schutzwände aus Holz vor ihre Fensterscheiben.“ (Leipziger Volkszeitung) Entgegen der medialen Prophezeiung von einem Hamburg 2.0 in Wurzen wurde es jedoch kein linkes Krawallfest, sondern ein Schaulaufen der lokalen Nazi-, Hool-, Rassist*innen- und Bratwurst-Szene, die ein Spalier um die Demonstration bildeten. Sogar ein NS-Clown hatte sich an der Demostrecke eingefunden, dessen Bild es bis in die NY Times geschafft hat und somit der Stadt zu weiterer Bekanntheit verholfen hat.
Die Liste der Ereignisse zeigt – verdeckt im Dunst des Knabbergebäcks weisen die Stadt Wurzen und ihre Bewohner*innen spätestens seit den 1990er Jahren eine lange Tradition rassistischer und nazistischer Gewalt auf, an die auch in diesem Jahr angeknüpft wurde. Den Titel „Kaltort des Jahres 2017“ hat die sächsische Perle also mehr als verdient.
 
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