Redebeitrag: Alltag in Sachsen – Alltag in der Leipziger Volkszeitung

Redebeitrag von „Rassismus tötet!“- Leipzig auf der Demonstration „das Land – rassistisch der Frieden – völkisch, unser Bruch – unversöhnlich“ am 2. September 2017 in Wurzen. Durchgeführt wurde #Wurzen0209 durch das „Irgendwo in Deutschland„-Bündnis.

Alltag in Sachsen – Alltag in der Leipziger Volkszeitung

Am 9. Juni 2017 versammelten sich Neonazis und Rassist*innen auf dem Wurzener Marktplatz und versuchten Geflüchtete, die in der Wencelaigasse wohnen, anzugreifen. Die Leipziger Volkszeitung berichtete unter der Überschrift: „60 Angreifer: Polizei verhindert Attacke auf Asylbewerber in Wurzen“.
Zu Wort kamen in diesem Artikel allerdings nur Stadtverwaltung und Polizei. Beide widersprachen der öffentlichen Darstellung von den „ruhestörenden Flüchtlingen“ nicht. Das verwundert nicht, denn die eindeutig rassistische Motivation des gewaltbereiten Mobs lässt sich so relativieren. Diese passt nämlich auch nicht zum Image der „weltoffenen Ringelnatz-Stadt“. Aber mehr als das ist es eben auch nicht: Es ist lediglich ein inhaltsloses Image.
Die Leipziger Volkszeitung, als einzige  Vertreterin der „4. Gewalt“ in Wurzen, ist bemüht dieser Selbstdarstellung der Stadt nicht zu widersprechen, auch wenn die Faktenlage  nichts Anderes zulässt. Mittlerweile gibt es eine Routine im “sächsischem Image-Dreisprung”. Dieser basiert immer auf der gleichen Systematik:

  • Täter*innen und Taten relativieren,
  • danach folgt die Erwähnung einer möglichen Täter-Opfer-Umkehr
  • und zum Schluss wird die Sprecher*innenrolle  regionalen Neonazis und/oder besorgten Bürger*innen überlassen.

Zuletzt bleibt immer ein geschöntes Image der Stadt. Die erhöhte Gefahr vor gut darin geschützten Rassist*innen bleibt bestehen. Hauptsache ist, dass die “öffentliche Ruhe” beibehalten wird. Die Situation der von  Rassismus Betroffenen spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Doch welch ein Glück für die lokale Redaktion der Leipziger Volkszeitung. Anstatt weiter über rassistische Übergriffe und Zustände reden zu  müssen, konnte sie in den letzten Wochen die heutige antifaschistische Demonstration in Wurzen diskreditieren.

  • So titelte die LVZ Mitte Juli: „Wurzener besorgt: Ein zweites Hamburg brauchen wir hier nicht“.
  • Dann, einen Tag später auch direkt die Enthüllungsnachricht: Beim Anmelder der Demonstration handelt es sich um denselben, wie bei der Hamburger “Welcome to Hell”-Demonstration.
  • Grund genug für die Tränendrüsen-Überschrift, ein paar Tage später: „Wir lassen uns Wurzens Ruf als weltoffene Stadt nicht kaputt reden“.

Als nicht erwähnenswert wurde allerdings befunden, dass der Anmeldername nicht durch investigativen Journalismus an die Öffentlichkeit kam, sondern durch die Ordungsbehörden direkt an die Presse durchgereicht wurde. Auch im weiteren Verlauf blieb eine differenzierte Berichterstattung aus. Eine Erwähnung zum nur einen Monat zurückliegenden versuchten Angriff, gegen geflüchtete Menschen, erfolgte nicht mehr.
Die zu Wort kommenden Sprecher*innen Wurzens stimmten alle in denselben Chor mit ein:
„Womit hat ausgerechnet Wurzen das verdient“?. Gleichsam wurde reflexartig, wie anderswo in Sachsen auch, verlautet: „man sei doch  weltoffen“ und „auch andere Orte hätten Probleme mit Neonazis“. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit unserer heutigen Demonstration erfolgte nicht. Die Hauptschlagzeile ist: „Die Wurzener haben Angst vor Zerstörung“. Eine nochmalige Verdeutlichung für all diejenigen, die die polarisierenden Absichten des Blattes noch nicht verstanden  haben. Die öffentliche Meinungsbildung hängt stark von solch einer Berichterstattung ab. So legitimierte die Leipziger Volkszeitung mit ihren hetzerischen, völlig überspitzten und  realitätsfernen Artikeln nicht nur die  zunehmende Vorverurteilung der Demonstration, sondern schürte so auch eine Stimmung der  Angst. Auch das Abfahren der angemeldeten Route, im Vorfeld der Demonstration, durch  einen Wasserwerfer wurde nicht mehr hinterfragt.
Dem repressiven Vorgehen der Behörden und  Polizei gegenüber der Demonstration wird somit inhaltlich Futter gegeben. Es wird völlig von den  in Wurzen herrschenden Zuständen abgelenkt.
Somit bleibt kaum noch Raum das Engagement  von Menschen in Wurzen und anderswo, die sich mit diesen Missständen nicht abfinden wollen, wahrzunehmen. Sie bleiben de facto ebenso ungehört, wie die von Rassismus Betroffenen. Wenigen anderen Medien gelang eine  differenzierte Berichterstattung die auch  aufgreift, warum wir heute hier sind: Dazu zählen unter anderem

  • unzählige Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen
  • weil Geflüchtete nicht gehört werden
  • weil die lokalen Initiativen kaum Unterstützung erfahren
  • weil Orte wie Wurzen ein Rückzugsraum für Neonazis darstellen
  • weil das Image der Stadt wichtiger ist als das Wohlergehen der Menschen

Wir sind lieber Linksunten, als LVZ und ihre Kommentarspalten.