Ort: Freital
Bevölkerung: 39.734 Einwohner*innen
Selbstbezeichnung: Große Kreisstadt Freital, leider damals nicht Deupodö-Stadt, Stadt in der “Erlebnis-Region Dresden”
“Wie wollen wir gemeinsam in Freital leben? Unter diesem Titel lädt Oberbürgermeister Uwe Rumberg im Namen des Stadtrates zum Bürgerdialog ins Stadtkulturhaus ein. Wohl kein anderes Thema beschäftigte die Stadt und ihre Bürger im letzten Jahr so, wie das Thema Flüchtlinge.”[1]
So formuliert die Große Kreisstadt Freital in ihrem Jahresrückblick das Thema, das sie 2016 beherrscht hat. Erwartungsgemäß findet sich sonst kein Wort (von Eröffnung und Schließung der Geflüchtetenunterkunft abgesehen) dazu, stattdessen wird von gemeinschaftlichen Highlights wie dem “Vierten Freitaler Trabant Tagestreffen” berichtet, zudem werden lauter als “interkulturell” oder „international“ ausgezeichnete Festivitäten angeprisen und so einige Gründe aufgelistet, anlässlich derer Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) Kränze für die Menschen, “die im Krieg und durch Gewaltherrschaft starben” niederlegte. Von den rassistischen Protesten gegen die Geflüchtetenunterkunft im Hotel Leonardo und der daraus entstandenen Naziterrorgruppe, die mit Anschlägen gegen Geflüchtete, einen Stadtrat der Linken und ein alternatives Hausprojekt den Namen Freital prägte, ist selbstredend kein Wort zu finden.[3]
Das passt zur aktuellen Gefühlslage in der Erlebnis-Region: Dort werden die Angriffe zu Lausbuben-Streichen verklärt, über Worte wie „Polenböller“ die Sprengsätze abgewertet und die Verhandlung als „Schauprozess“ delegitimiert.[2] Dass die Anklage auch auf versuchten Mord lautet, kratzt nicht am guten Image der aktiv gewordenen, besorgten Bürger*innen aus Freital. Sie agierten vor einer größtenteils gleichgültigen bis unterstützenden Mehrheit, die bspw. von Michael Richter, einem der Opfer der Gruppe Freital angesprochen wurde, als er bekannt gab, die Stadt wegen ihr zu verlassen. Auch die Ergebnisse der Bundestagswahl sprechen eine deutliche Sprache: Dort schnitt die AfD mit 34,9% als stärkste Partei noch vor der CDU (25,7%) ab. Dabei zeigte sich deren amtierender Oberbürgermeister als rechter Hardliner, schimpfte bspw. in Pegida-Slang über „Glücksritter, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“, forderte Grenzen der Willkommenskultur.[4]
Ein Mann der markigen Worte also, der aber auch die zweite Disziplin als Bürgermeister eines rassistisch dominierten Kaffs gewohnt meistert: das Relativieren der Allgegenwart und Macht der Naziszene: „Wenn ich sage: 40.000 Einwohner hat die Stadt, und es ist eine Handvoll vielleicht, die das Treiben hier verrückt machen. Das darf man nicht schönreden und da darf man auch nicht weggucken, aber man sollte es auch nicht überbewerten.“[2] Eine echte Naziszene gäbe es in Freital schon einmal nicht, lässt er weitergehend in einem weiteren Interview wissen.[5] Woher die rassistischen Graffiti in der Stadt kommen, die der Journalist ebenfalls anspricht, bleibt dann unkommentiert. Wichtig dagegen ist Rumberg deren Entfernung, damit die Stadt „auch optisch das ausstrahlt, was sie verdient“. Meint: keine Graffiti, die Investitionen gefährden könnten.
Dafür sorgt das integrative Projekt „Deutsch ++ – Deutschunterricht und gemeinnützige Arbeit für Asylbewerber und Flüchtlinge“, bei dem diejenigen, die von den Parolen auf Freitals Wänden direkt angesprochen wurden, sie für 1,5€/Stunde entfernen „konnten“ und dabei laut twitter erwartungsgemäß rassistisch bepöbelt wurden.[7] Wieder so ein Projekt, das im Jahresrückblick keine Erwähnung findet.
In Freital ist die völkische Vergemeinschaftung schon weit fortgeschritten. Selbst nachdem sich unter aller Augen Freitaler*innen organisierten, um Geflüchtete und Linke umzubringen (unter anderem wurde gegen Freitaler Cops ermittelt, Freund*innen und Nachbar*innen lagerten beispielsweise Sprengsätze, die später bei Anschlägen eingesetzt wurden), gibt es keinen Bruch, sondern Relativierung. So stellte sich die CDU gemeinsam mit den Fraktionen von AFD und Freien Wählern gegen die Ergebnisse der „Regierungsstudie zum Thema Rechtsextremismus in Ostdeutschland“ gegen „die Brandmarkung unserer Stadt, unserer Region und der hier lebenden Menschen“.[8] Dabei nehmen sie auch gleich das durch rassistische Ausschreitungen bekannt gewordene Heidenau mit in Schutz. Derart um ihr Image bemüht, schreien die Freitaler*innen eigentlich um den Kaltort-Pokal 2017 oder andere Aktionen, die geeignet sind, den dort tatsächlich herrschenden Charakter herauszustellen und zu kritisieren.
[1]: Der Jahresrückblick der Stadt Freital: http://freital.de/media/custom/530_7973_1.PDF?1486455705
[2]: Panorama: „Lausbuben“: Wie man in Freital Terroristen verharmlost. https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2017/Lausbuben-Wie-man-in-Freital-Terroristen-verharmlost,freital112.html
[3]: Stattdessen findet ihr zur Verbindung von Gruppe Freital, Stadtbevölkerung und Polizei so einige Worte bei deutschland demobilisieren: Gruppe Freital – Der „Nationalsozialistische Vordergrund“ von der Tankstelle: https://deutschlanddemobilisieren.wordpress.com/2017/03/08/gruppe-freital-der-nationalsozialistische-vordergrund-von-der-aral-tankstelle/
[4]: Freital, Bundestagswahl 2017: https://www.statistik.sachsen.de/wpr_neu/pkg_s10_erg_lw.prc_erg_lw?p_bz_bzid=BW17&p_ebene=GE&p_ort=14628110
[5]: „Das grenzt an Verleumdung“. Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) über „Laut gegen Nazis“, Freitals Image und Pläne für eine Bürgerversammlung: http://www.sz-online.de/nachrichten/das-grenzt-an-verleumdung-3385595.html
[7]: Das ist „Deutsch ++“: Geflüchtete dürfen Nazisprühereien in Freital entfernen: http://sprachlos-blog.de/das-ist-deutsch-gefluechtete-duerfen-nazispruehereien-in-freital-entfernen/
[8]: CDU und AfD paktieren in Freital gegen Rechtsextremismus-Studie: http://www.tagesspiegel.de/politik/sachsen-cdu-und-afd-paktieren-in-freital-gegen-rechtsextremismus-studie/19879844.html