Berlin, 6.11: In Gedenken an die Opfer des NSU-Komplex

Plakat Antifa Demonstration Berlin am 6.11
Für alle, die es am 5.11. nicht nach Zwickau schaffen oder am 6. in Berlin aufwachen:

Besucht die Demonstration „In Gedenken an die Opfer des NSU-Komplex“

Den Aufruf findet ihr in türkisch und deutsch auf der Seite des organisierenden Bündnisses. Wir stehen in Austausch und werden auch mit einem Redebeitrag/Grußwort versuchen, die Brücke zwischen den beiden Demonstrationen zu schlagen. Start ist um 13 Uhr Karl-Marx-Str./Werbellinstr.

Wir sagen: Es reicht! Wir fordern Gerechtigkeit für die Opfer und eine vollumfängliche Entschädigung der Angehörigen. Wir fordern endlich politische und personelle Konsequenzen. Wir fordern das diejenigen, die sich schuldig gemacht haben juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Dazu gehören auch jene Geheimdienste die mithilfe des V-Leutesystems eine aktive und mörderische Naziszene mit aufgebaut und geschützt haben und jede Aufklärung bis heute durch Lügen, Vertuschen und Aktenschreddern aktiv verhindern. Wir fordern die Offenlegung aller Akten sowie die Benennung und Verurteilung aller Verantwortlichen im riesigen NSU-Komplex. Wenn der NSU-Prozess in München demnächst endet werden die Forderungen der Angehörigen immer noch unerfüllt sein. Dabei sind Anerkennung, Wahrheit und Gerechtigkeit für die Angehörigen der Opfer das Mindeste was ihnen dieser Staat und die Gesellschaft schuldig ist.

Die Demonstration ist eingebettet in die Aktionswoche Gedenken & Widerstand, die anlässlich des fünften Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU zwischen dem 29.10 und 06.11.2016 in Berlin stattfindet.

In der Aktionswoche werden an verschiedenen Orten in Berlin diverse Aktionen, Workshops und Interventionen im öffentlichen Raum stattfinden, wie etwa in Spätis, Cafés und Bibliotheken, auf Straßen und Plätzen und an anderen frequentierten Orten. Abschließen möchten wir die Aktionswoche mit einem ganztägigen Kongress am 05.11.2016, der eine Reihe von Panels, Workshops und Performances beinhalten wird, und mit einem Filmabend am 06.11.2016.

Achso: Auch wenn das Plakat der Berlin-Demonstration anderes behauptet: Wir starten in Zwickau um 14 Uhr am Hauptbahnhof.

NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen! Gegen Nazi-Terror und den rassistischen Normalzustand.

#Zwickau0511 gösterisi için çağrımız şimdi Türkçe de mevcut
The appeal for #Zwickau0511 is also available in English.

NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen! Gegen Nazi-Terror und den rassistischen Normalzustand.

Audio: Den Aufruf auf Mixcloud anhören
Kein Gras drüber wachsen lassen! Demonstration anlässlich des fünften Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU.
Am 04.11.2016 jährt sich die Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zum fünften Mal. Nirgendwo lässt sich der gesamtgesellschaftliche Rassismus in Deutschland derart deutlich aufzeigen, wie an den Taten des NSU und deren Aufarbeitung. Das Kerntrio, das jahrelang „unentdeckt“ durch die Bundesrepublik ziehen konnte, war verantwortlich für die neun rassistischen Morde an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat, sowie für den Mord an Michèle Kiesewetter. Bei den drei Sprengstoffanschlägen in Köln und Nürnberg wurden viele Menschen verletzt, nur durch Glück wurde niemand getötet.
Ermöglicht wurde diese Terrorserie durch einen Rassismus, der das Handeln der meisten Menschen in diesem Land, staatlicher Behörden und der Polizei bestimmt. Rund um die Taten des NSU zeigt sich eine arbeitsteilige Verknüpfung von schweigender bis zustimmender Bevölkerung und den mörderischen Aktionen der Neonazis. Von ihrer völkischen Ideologie angetrieben mordete die Gruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und wurde dabei von einem bundesweiten Netzwerk von Neonazis unterstützt. In diesem tummelten sich, wie wir heute wissen, über 40 Informant*innen von Polizei und Verfassungsschutz. Viele von ihnen leisteten finanzielle und strukturelle Aufbauarbeit in den entscheidenden Neonazi-Organisationen der 90er-Jahre. Der Thüringer Heimatschutz, in dem auch das spätere NSU-Kerntrio aktiv war, wurde bspw. vom V-Mann Tino Brandt aufgebaut. Später leitete er Gelder des Thüringer Verfassungsschutzes über Mittelsmänner an die inzwischen Untergetauchten weiter und berichtete seinem V-Mann Führer, wohin die Drei „verschwunden“ waren. Diese Informationen führten bekanntlich zu keiner Festnahme von Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos.
Damit leisteten auch die staatlichen Behörden ihren Beitrag bei der politischen Sozialisierung und dem Leben der Drei im „Untergrund“. Zudem verhinderten die rassistisch strukturierten Ermittlungen gegen die Angehörigen der Opfer das Ermitteln der tatsächlichen Täter*innen. Bereits an den Namen der in der Mord- und Anschlagsserie ermittelnden Sonderkommissionen „Halbmond“ und „Bosporus“ zeigt sich der institutionelle Rassismus, der die Taten als „Ausländerkriminalität“ deuten wollte. Das wird insbesondere an einem LKA-Gutachten deutlich: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“. Somit sei davon auszugehen, dass die Täter*innen „im Ausland aufwuchsen oder immer noch dort leben“.
Auf medialer Ebene setzten sich diese rassistischen Deutungen durch. Die Nürnberger Zeitung prägte für die neun Morde den abschätzigen Ausdruck „Döner-Morde“, der von der bundesdeutschen Medienlandschaft bereitwillig übernommen wurde. Auch die radikale Linke folgte dieser Interpretation insofern, als dass ihr ein rassistisches Motiv der Mörder*innen bis zur Selbstenttarnung des NSU im November 2011 nicht in den Sinn kam. Die Versuche der Angehörigen, einen möglichen rassistischen Hintergrund in Interviews oder auf Demos zu benennen, wie z.B. mit der Forderung „Kein 10. Opfer“ auf Demonstrationen in Dortmund und Kassel im Mai/Juni 2006, blieben ungehört.
Zwickau: ein guter Unterschlupf für Nazi-Terrorist*innen
Vor fünf Jahren, im November 2011, schien die Überraschung über die Selbstenttarnung des NSU groß. Doch Zwickau als Ort verdeutlicht, wie die Mehrheitsgesellschaft den Aufbau der NSU-Strukturen unterstützt und gefördert hat. Ein breites Netzwerk ermöglichte dem NSU einen komfortablen Rückzugsort, trotz eines Lebens im „Untergrund“. Neben starken Neonazistrukturen verschaffte gerade die Mischung aus nachbarschaftlicher Ignoranz und Akzeptanz dem NSU einen freien Rücken. Frühere Nachbar*innen berichten von Beate Zschäpe als netter Frau und „Katzenmama“. Die Hitler-Bilder, die im als Nachbarschaftstreff genutzten Party-Keller eines Nachbarn gefunden wurden, zeugen von ideologischer Zustimmung und Verbundenheit in der Zwickauer Frühlingsstraße. Im Miteinander von Neonazis und „normalen“ Bürger*innen erscheint die Volksgemeinschaft in ihrer menschenfeindlichen Ausdrucksform. Das gilt für Zwickau in der spezifischen sächsischen Ausprägung einer bundesweiten Realität.
Nicht nur das direkte nachbarschaftliche Umfeld ermöglichte ein angenehmes Leben im Untergrund, die Hilfsbereitschaft der Zwickauer Bürger*innen zeigte sich auch auf anderen Ebenen: Neonazis in Zwickau und Chemnitz betrieben neben Kleidungsgeschäften auch Baufirmen und Security-Unternehmen. Sie errichteten seit den 1990er Jahren eine funktionierende Infrastruktur, die sowohl Geld einbrachte, als auch die Grundbedingungen für das Leben des NSU im „Untergrund“ schuf. Ralf Marschner, Inhaber einer Baufirma, mehrerer Shops für Nazibekleidung und eines rechten Labels, war vermutlich zeitweise Arbeitgeber des NSU-Trios. Zudem konnten diese Betriebe auch bundesweit tätig sein und somit ohne Aufsehen zu erregen Autos anmieten, die vermutlich bei den Morden genutzt wurden.
Dieses gesellschaftliche Klima besteht fort. Dem BKA sind seit November 2011 bereits 288 Straftaten mit Bezug zum NSU gemeldet worden. In Sachsen und bundesweit sind Übergriffe und Anschläge auf Geflüchtete und alle anderen, die als Fremde oder Feinde markiert werden, Alltag. Was bereits im Herbst 2013 an Orten wie Schneeberg begann, setzt sich hier fort. Menschen werden angegriffen, Unterkünfte angezündet. In Heidenau kommt es im August 2015 sogar zu pogromartigen Ausschreitungen, in Bautzen finden im September 2016 Menschenjagden auf Geflüchtete statt. „Besorgte Bürger*innen“ hetzen in Form von Demonstrationen, Blockaden von Unterkünften und anderen Aktionen des so genannten „zivilen Ungehorsams“ gemeinsam mit organisierten Neonazis gegen Geflüchtete.
Auch in Zwickau protestieren mehrfach bis zu 1000 Demonstrant*innen gegen die Einrichtung von Geflüchtetenunterkünften, im Mai gab es einen Brandanschlag auf die Unterkunft an der Kopernikusstraße. Ohne nennenswerten Widerspruch durch die Mehrheitsbevölkerung formiert sich aktuell eine völkische Bewegung. Deutlich zeigen sich die Kontinuitäten zu den rassistischen Pogromen der 1990er Jahre.
Ebenso lässt sich eine klare Linie von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda über die Neonaziszene und den Thüringer Heimatschutz zum NSU und seinem Umfeld ziehen: Im Klima der Pogrome erfuhren die Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes, aus dem später der NSU hervorging, ihre politische Sozialisation. Sie konnten auf lokaler und regionaler Ebene eine rassistische Alltagshegemonie erleben und auf der Straße ohne nennenswerten gesellschaftlichen Widerstand agieren, oftmals sogar unter offenem Zuspruch. Die Lektion, die sie daraus lernen konnten, war die, dass sie mit ihren Auffassungen auf einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt zählen konnten und militante Aktionen in diesem Klima politisch belohnt wurden.
Totgeschwiegen, heruntergespielt, verharmlost – damals wie heute
Das Schweigen und die fehlende Auseinandersetzung mit dem NSU und dessen Umfeld zeigen, wie eine Aufarbeitung des NSU-Komplex und eine Erinnerung an die Opfer systematisch verdrängt und verhindert werden. Reflexhaft verkündete die Zwickauer Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann (Die LINKE) 2011: „Mit Zwickau hat das Ganze nichts zu tun!“ Lokale Initiativen, die sich für eine kritische Auseinandersetzung damit einsetzen, dass das Kern-Trio des NSU in Zwickau seinen Lebensmittelpunkt hatte, werden immer noch von der Stadt und großen Teilen der lokalen Bevölkerung dafür angegriffen. Der Abriss des Wohnhauses in der Frühlingstraße ist das Sinnbild einer Lokalpolitik, die lieber dem Gras beim Wachsen zu schaut, als sich selbstkritisch dem jahrelangen Versagen zu stellen.
Dass Zwickau für die Neonaziszene noch immer eine ganze Erlebniswelt bietet, mit Bekleidungsgeschäften, rechten Kampfsportevents, Neonazikonzerten, des ungehemmten Auslebens rechten Gedankenguts bei lokalen Fußballvereinen und Arbeitsplätzen bei den national gesinnten Kamerad*innen – darüber wird in Zwickau nicht gerne gesprochen. Nicht einmal die Selbstenttarnung des NSU hat zu einem Umdenken geführt. Eine Gedenktafel für die Opfer ist nach wie vor unerwünscht und ein Schulprojekt zum Thema wurde zunächst vom Kulturausschuss der Stadt sabotiert. Nach Bewilligung der Gelder geht nun die AfD gegen das Projekt vor. Dieses Desinteresse an Aufklärung und Erinnerung verhöhnt die Opfer des NSU und rechter Gewalt in Deutschland. In diesem Zwickau, mit dem das alles nichts zu tun hat, hängt 2011 im Naziladen Eastwear über Wochen ein T-Shirt mit Pink Panther und der Aufschrift „Staatsfeind“. Verschiedene Bekennervideos zu den Morden des NSU im Format der Pink Panther-Cartoons wurden in der abgebrannten Wohnung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in Zwickau gefunden. Auch diverse Sprühereien mit Bezug zum NSU zeigen deutlich, dass die lokale Szene sich dafür feiert, dass das Trio in ihrer Stadt gelebt hat.
Grund genug, die Zwickauer Zustände in die Öffentlichkeit zu zerren
Mit einer Demonstration anlässlich des fünften Jahrestages des Bekanntwerdens des NSU gehen wir am 5. November nach Zwickau, wo die rassistischen Strukturen und das Umfeld des NSU die Morde ermöglicht haben. Wir gehen gegen den rassistischen Alltag in Zwickau und in Sachsen und deutschlandweit auf die Straße:

  • Wir erinnern an die Opfer der Mord- und Anschlagsserie des NSU und drücken unsere Solidarität mit ihnen und ihren Angehörigen aus.
  • Wir wollen auf die Neonazistrukturen und ihre nachbarschaftliche Komfortzone hinweisen und diese zurückdrängen.
  • Wir fordern nach wie vor die Abschaffung aller Inlandsgeheimdienste, die unter dem Label „Verfassungsschutz“ operieren und verdeckte Aufbauarbeit für neonazistische Gruppierungen betreiben.
  • Wir fordern insbesondere eine Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der rassistischen Morde durch einen internationalen Untersuchungsausschuss und unter Einbeziehung der Angehörigen in die Aufklärungsarbeit.


#irgendwoindeutschland


Unterstützende Gruppen

(wird unregelmäßig aktualisiert, schreibt an info@irgendwoindeutschland.org)

Demob: Gegen das Heidenauer Miteinander – Demonstration am ersten jahrestag der Pogromartigen Ausschreitungen

Wir wollen am 21. August eine Demonstration anlässlich des ersten Jahrestages der zweitägigen Ausschreitungen von Heidenau veranstalten. Ein paar einleitende Worte von demob zum Aufruf der Demonstration, die wir als Protestmarsch gegen den unerträglichen rassistischen Konsens von Nazis bis Zivilgesellschaft verstehen.
15 Meter lang war sie eines der farbenfrohsten Mahnzeichen über die Verschlingung von scheinbarer Normalität und der darunter liegenden volksgemeinschaftlichen Grundierung im Ort. Um die nach den Ausschreitungen vermeintlich so zerstrittenen Bewohner_innen von #Heidenau wieder an einen Tisch zu bringen, hatte der Künstler Hüseyin Arda Buchstaben aufstellen lassen, die zusammen das Wort „Miteinander“ bildeten und dazu aufgerufen, diese zu bemalen. Fast zeitgleich zur Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete ist die Skulptur nun wieder abgebaut worden. Sie fungierte als Gradmesser der aktuellen Befindlichkeiten des Dresdener Vorortes: Hin- und wieder bunt, zwischendrin aber in Reichsfarben und später auch in in Schwarz-Rot-Gold gefärbt. Verlacht ab der Eröffnung, während der Jugendliche vernehmlich Sätze wie „Miteinander Ausländer klatschen“ bildeten und durch weitere Kunstaktionen begleitet, als in den letzten Monaten Nazis Leichenumrisse, Kunstblut und „Migration tötet“-Schnipsel an den Heidenau umgebenen Bahnhöfen hinterliessen. Die Skulptur blieb von Schweigen umhüllt, auch wenn Nazis per Facebook dazu aufriefen, Nummernschilder oder Personenbeschreibungen von Leuten zu liefern, die die Nationalbemalung überstrichen hatten. Dieses Schweigen entsteht nicht, weil die Gesellschaft gespalten oder verängstigt ist. Es ist das Schweigen derjenigen, die wissen, dass sie im Rampenlicht der Medien ein von Außen installiertes Mahnmal ertragen müssen. Es ist ein verräterisches Schweigen, in dem Nazi sein eine akzeptierte Varianz der Normalrassist_innen ist, in dem ein schwarzweißrotes „Miteinander“ die Gemeinschaft nicht stört, sondern ausdrückt. Aber: Geschwiegen wird sowieso nur auf den ersten Blick. Wer es wagt, einen Blick in die „Heidenau wehrt sich“-Facebookgruppe zu werfen, kriegt selbst im allgemein zugänglichen Teil eine Vorahnung darauf, wie es auch an den örtlichen Stammtischen aussehen wird. Diese Zustände zumindest in ein öffentlicheres Licht zu zerren und diesen Konsens zu skandalisieren ist Ziel der Demonstration #Heidenau_2108, wie aus dem Aufruf ersichtlich wird:
Wir möchten mit dem allgemeinen Schweigen über die Ereignisse im August 2015 brechen. Wir lehnen das Schöngerede von lokalen Akteur*innen ab und fordern die lückenlose Aufarbeitung der Gewalttaten. Ein konsequenter Umgang mit rassistischen Auschreitungen, Übergriffen, Drohungen und Anschlägen ist kein Luxus, sondern eine Notwendikeit, der sich auch die bürgerliche Justiz, Politik und Bevölkerung nicht entziehen kann. Wir möchten unsere Wut auf die Straße tragen und den selbsternannten Asylkritiker*innen und jenen, die lieber die Vorhänge zuziehen, wenn ein rassistischer Mob durch ihre Straßen wütet und menschenverachtenden Ideoligien skandiert, zeigen, dass wir die Schnauze voll haben von dieser faschistischen Stadthegemonie.
Als Teil des Bündnisses „irgendwo in deutschland“ rufen wir euch auf, am 21. August um 14 Uhr am Bahnhof Heidenau die Demonstration „Wir vergessen nicht! das Schweigen in der sächsischen Provinz brechen.“ zu unterstützen. Ihr findet den gesamten Aufruf auf der Seite des “Irgendwo in Deutschland”-Bündnis:

Redebeitrag Antifa Klein-Paris "Ein Jahr nach Heidenau"

Ein Jahr nach Heidenau


Als wir vor etwas mehr als einem Jahr hier in Heidenau mit ca. 250 Antirassist*innen und Antifaschist*innen standen, tobte der rassistische Mob nur wenige Meter entfernt die zweite Nacht in Folge. Heidenau war ohne Frage der Höhepunkt einer Pogromstimmung, die sich nicht erst nachdem tausenden Geflüchtet die Balkanroute überschritten hatten, aufbaute. Die wurzeln dieser Eskalation lagen deutlich tiefer.
Erinnert sei an dieser Stelle an die rassistischen Fackelmärsche von Schneeberg im Winter 2013, an die ebenfalls von der NPD angeleiteten „Nein-Zum-Heim“ Proteste, die die Eröffnung von vielen Asylsuchendenheimen begleitete und nicht zuletzt an die PEGIDA-Bewegung, die diese rassistische Grundstimmung erfolgreich für sich zu nutzen wusste.
Diese besorgte ohne Frage den gesellschaftlichen Dammbruch des reaktionären Rollbacks. Der PEGIDA-Effekt zeigte deutlich seine Folgen. Während die montäglichen Aufmärsche im Verlaufe des Jahres 2015 einen stetigen Rückgang der Teilnehmendenzahl erfuhren, kam es vor allem im Ballungsraum Dresden vermehrt zu rassistischen Protesten, die sich direkt gegen Unterkünfte und Asylsuchende richten, wie in Freital, Meißen, Mittweida und hier Heidenau. PEGIDA-Personal marschierte und marschiert Seite an Seite mit bekennenden Neonazis. Zugleich stiegt die Zahl der rassistischen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr auf das Doppelte; Anschläge begleitet allerorts die die Eröffnung von Unterkünften und verhinderten diese zum Teil. Und diese Entwicklung setzt sich bis dato ungebrochen fort – und das trotz des aktuellen Rückgangs mobartiger Versammlungen wie in Freital oder Heidenau.
Dementsprechende stecken wir noch immer in jenem Dilemma, das wir bereits vor knapp einem Jahr wie folgt beschrieben: „Erstens gibt es bisher keine praktische, antirassistische Antwort auf die zunehmende Verschärfung des Asylrechts und die unhaltbaren Bedingungen, denen Geflüchtete derzeit in Sachsen, aber auch bundesweit, ausgesetzt sind. Zweitens: Entgegen vieler Darstellungen ist der gegenwärtige Asyldiskurs nicht allein von einer „das Boot ist voll“-Rhetorik geprägt. Vielerorts ist gelebte Solidarität mit Geflüchteten zu sehen und gerade angesichts der aktuellen Zuspitzung scheint sich diese gesellschaftlich stärker zu verbreiten. Drittens führt diese gelebte Solidarität bisher nicht ansatzweise dazu, dass sich die politischen Verhältnisse progressiv entwickeln würden. Die Bewegung befindet sich in einem Abwehrkampf gegen Rassist*innen und staatliche Strukturen, allen voran gegen die Innenministerien von Bund und Ländern, die kaum einen Anlass auslassen, Asylrechtsverschärfungen zu fordern und durchzusetzen.“ (Zitat Ende!)
Der kurze, aber etwas Hoffnung stiftende „Sommer der Migration“ war schnell zu Ende. Die rassistische Deutung der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht in Köln und das propagandistische Dauerfeuer von AFD, CDU & CSU – aber auch von Teilen der SPD, GRÜNEN und Linkspartei besorgte den Rest. So pessimistische dieses Resümee nach einem Jahr klingen mag – so realistisch ist es leider.
Dennoch gilt es Ansätze für einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden und radikal linke antirassistische und antifaschistische Politik nicht aufzugeben, sondern eine neue Praxis zu entwickeln.
Erstens: Keine Intervention ohne konkrete Solidarität! Antifaschistische Intervention bei rassistischen Zusammenrottung und antirassistische Solidarität sind zwei Seiten einer Medaille. Wo es keine Geflüchteten gibt, die wir versuchen zu Schützen und mit denen man gemeinsame Kämpfe organisieren kann, läuft Antifaschismus in leere.
Zweites: Das völkische Denken unserer Zeit und der rechte Rollback sind nicht nur durch rassistische Denk und Handlungsmuster geprägt. Verfolgt man die Konjunkturen rechter Hetze aufmerksam – und dass macht gerade die mediale Verzerrung der Ereignisse von Köln deutlich: Antifeminismus und patriarchales Denken gehören ebenso zum Kerngeschäft der reaktionären Hetzer (#WerschütztunsereFrauen). Feminismus kann deshalb nicht nur schmückendes Beiwerk unserer Praxis sein, sondern muss ebenso viel Engagement entfesseln.
Drittens: Auch, wenn die AFD zunehmend zum parlamentarischen Flügel des Mobs auf der Straße wird und um Björn (oder Bernd? ;-)) Höcke, Poppenburg und andere ein faschistischer Flügel wächst, dürfen wir nicht vergessen, dass die AFD die Voraussetzung ihres Verfolge nicht selbst geschaffen hat. Die Inszenierung der „Asylkrise“, die rassistische Spaltung der Gesellschaft und autoritäre Politik zur Rettung des Kapitalismus sind Erfindungen aus schwarzen, grünen und roten Amtsstuben. Mit der Zivilgesellschaft lassen sich also vielleicht die schlimmsten Brandherde löschen, vielleicht schaffen wir sogar die AFD zu diskreditieren. Um jedoch die Entstehung eines Großbrandes zu verhindern, braucht es eine radikale antirassistische, feministische und antikapitalistische Praxis – also ein vernünftiges Gegenfeuer … um in der Metapher zu verbleiben.
https://antifakleinparis.noblogs.org/
https://twitter.com/antifa_kp

Umkämpftes Gedenken

Rostock Lichtenhagen und das Ringen um Gedenkperspektiven
Vortrag mit anschließender Diskussion
24.08.17 19:00 Uhr Gängeviertel Seminarraum 4.OG
Die Jahrestage des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen prägen seit jeher Konflikte um die Form des Gedenkens. Staatlicherseits wird die tagelange rassistische Gewalt als ein „Schrecken“ bezeichnet, der heute Aufruf sei, „Fremdenfeindlichkeit“ abzubauen. Staatliche und städtische Gedenkveranstaltung kommen so oft als Imagekampagne für ein besseres Miteinander daher und ignorieren damit aktiv die rassistische Verfasstheit der Gesellschaft. Sie schiebt die Verantwortung für die Gewalt in die Vergangenheit oder auf einzelne Täter ab. Linkes und zivilgesellschaftliches Gedenken agiert hingegen aus einer anderen Motivationslage. Der konkrete Ablauf der Ereignisse steht hier im Mittelpunkt, oft um die Ereignisse auf die Gegenwart hin zu interpretieren und auf eine linke Perspektivsuche zu gehen.
Doch auch diese Herangehensweisen birgt das Problem das Pogrom von Lichtenhagen zu instrumentalisieren. So drehen sich viele linke Perspektiven auf Lichtenhagen um die temporäre Niederlage gegen die Gewalt der Deutschen, worauf eine neue Form antifaschistischen Widerstands erwuchs. Wie selbstverständlich werden dabei Antifas und Nazis in ihrer Gegenerschaft zueinander zu den Hauptakteur_Innen des Geschehenen. Die Opferperspektive hat in der militärischen Auswertung dieser Konstellation keinen Platz. Wie kann es aber sein, dass ein antirassistisches Gedenken keinen Platz für jene bietet, die Rassismen tagtäglich begegnen müssen? Wie kann linke Praxis eine Rassismusanalyse entwickeln, wenn innerhalb der linken Szene Migrations- und Rassismuserfahrungen nur marginal vorhanden sind?
Sind Jahrestage der richtige Zusammenhang Rassismus zu thematisieren und wenn ja, dann wie?
Die Kampagne „Rassismus tötet!“ versuchte zwischen 2012 und 2013 die in enger Verbindung stehenden Jahrestage der Morde von Mölln und Solingen, der Pogrome von Hoyerswerda, Rostock und Mannheim sowie der Asylrechtsreform in ihrem politischen Kontext zu thematisieren. Die Erfahrungen, die die Kampagne mit ihrer Arbeit gemacht hat und die Kritik, die sie erfahren hat, könnten auch für zukünftiges Gedenken wichtig sein. In Form eines Vortrages werden einige Ideen und Fallstricke der Kampagne vorgestellt, um einen Ausgangspunkt für eine gemeinsame Debatte um antirassistische Praxis und migrantisierte Erinnerungsformen zu schaffen.