Sommer 2016: Wir sitzen in der Wohnung einer Familie, fast täglich werden sie direkt an der Haustür belästigt. Nachts wird geklingelt, geschrien. Während wir mit der Familie sprechen, fahren in den angrenzenden Straßen Neonazis Patrouille. Der Anlass ist, dass sich Menschen, die in Wurzen leben müssen, gegen Rassismus gewehrt haben. Eine ungeheure Provokation für den rechten Mob. Aber nicht nur der wird rasend. Auch die Lokalpresse empört sich, der Oberbürgermeister spricht von einem „Scherbenhaufen der Integrationsarbeit“.
Eine ähnliche Dynamik entwickelt sich, nach einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen geflüchteten Heranwachsenden und Deutschen in der Innenstadt. Die Folge ist ein Auflauf von mehreren hundert Rassisten auf dem hiesigen Marktplatz, die versuchen die Wohnung der jungen geflüchteten Menschen anzugreifen oder im letzten Jahr als Angreifer verletzt werden, die ein Wohnhaus von geflüchteten attackieren.
Die sächsische Stadt Wurzen ist ein trauriger Hotspot rechter und rassistischer Gewalt. Es ist dabei nicht nur die Quantität an Vorfällen, die selbst in Sachsen beinahe beispiellos ist. Es ist auch die Qualität der Fälle. Die rassistischen Angriffe sind in Wurzen besonders enthemmt und richten sich oft auf die Wohnung der Betroffenen oder finden in ihrem direkten Wohnumfeld statt. Der Wunsch der Betroffenen ist dann: weg ziehen.
Besonders ist in Wurzen auch, dass die Taten kaum juristisch aufgearbeitet werden. Einstellungen der Strafverfahren sind die Regel. Das Signal an die Täter und Täterinnen lautet: Ihr habt nichts zu befürchten. Das Signal an die Opfer der Übergriffe: Es interessiert niemanden, dass ihr in Angst leben müsst. Euer Wohl ist weniger Wert als das der deutschen Bürger.
Erschreckend sind hier die alltäglichen Verhältnisse. Es folgt ein großes öffentliches Echo, wenn sich Geflüchtete wehren, während die rechten und rassistischen Übergriffe zur Normalität gehören und teilweise viel Verständnis hervor bringen.
Dies alles ist kein neuer Zustand. Wurzen ist seit den 90ern bundesweit ein Begriff für Neonazistrukturen, die fast ungehindert agieren können. Seitdem konnten sich rechte Gewalttäter hier mühelos organisieren und wirtschaftlich etablieren. Über die Region hinweg ist Wurzen genau dafür bekannt, nur in der Stadt selbst versucht man häufig zu bagatellisieren und die Bedrohung woanders auszumachen. Wie groß war die Sorge und wie laut die Befürchtungen von Entscheidungsträgern und Verantwortungsträgerinnen als Menschen eine Demonstration in Wurzen ankündigten, um sich mit den Betroffenen des rechten Terrors zu solidarisieren.
Solange sich diese Haltung in der Stadt nicht ändert, werden die Zustände hier so bleiben. Die gesellschaftliche Reaktion auf die Taten, hat einen enormen Anteil an dem Opfer-werdungs-Prozess, dies belegen alle Viktimisierungsstudien. Werden die rassistischen Vorfälle verurteilt oder bagatellisiert, werden die Betroffenen unterstützt oder ihnen gar eine Mitschuld unterstellt… dies alles ist wesentlich beteiligt an der Gewaltwirkung. Öffentliche Solidarität und Unterstützungsbereitschaft kann deswegen in seiner positiven psychosozialen Konsequenz gar nicht hoch genug bewertet werden.
Das Neue Forum Wurzen ist ein hetzerischer Zusammenhang in dessen Umfeld Gewalttäter beheimatet sind und im Zusammenhang dessen Veranstaltungen Angriffe stattfinden.
Attackiert werden nicht nur Geflüchtete, besonders zu leiden hat das soziokulturelle Zentrum NDK am Domplatz. Es ist Anlaufstelle für viele Menschen mit Rassismuserfahrungen, es ist eine stabile Größe gegen eine rechte Kultur und für alternative und demokratische Angebote. Seit Jahren ist es immer wieder Zielscheibe für Verleumdungen, Drohungen und tätliche Angriffe.
Wir solidarisieren uns mit dem Netzwerk für demokratische Kultur und dessen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und mit den übrigen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt in Wurzen!
Redebeitrag gehalten auf der Demonstration #Wurzen2708: Keine Stimme den Faschos. Den rechten Foren den Raum nehmen!