Ort: Kaufbeuren
Einwohner*innenzahl: 43.478
Selbstbezeichnung: Alt, schön, frei.
Die Bürger*innen der bayerischen Kleinstadt haben 2018 entschieden: Eine neue Moschee darf nicht gebaut werden. Die alte Moschee der DiTiB-Gemeinde in Kaufbeuren war 2017 zu klein geworden, der Stadtrat hatte ein Grundstück in Aussicht gestellt. Dagegen begehrten die Kaufbeurer*innen auf — und schufen einen Präzedenzfall: Im Juli wurde in Deutschland das erste Mal ein Moscheebau per Referendum verhindert.
Kaufbeuren hat ein bisschen mehr als 40.000 Einwohner, eine Altstadt mit zwei Kirchtürmen, einem rosafarbenen Rathaus, gepflasterten Gassen, mit Stuck und Giebeln verzierten Häuserfassaden und Resten einer Stadtmauer aus dem Jahr 1200. Wenn der Himmel blau ist, schaut man von Kaufbeuren aus über grüne Hügel hinweg auf die Allgäuer Alpenkette. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Kneipendichte hoch. Jeden Sommer findet 12 Tage lang das Tänzelfest statt, zu dessen Höhepunkt alle Kaufbeurer Kinder in mittelalterlichen Kostümen die Geschichte der Stadt bei einem Umzug nachspielen. Es ist das älteste Kinderfest Bayerns und Kaufbeuren ist stolz darauf.
In Kaufbeuren gibt es seit Langem zwei Moscheen, die DiTiB-Gemeinde existiert seit 1981. Diese Gemeinde kann man aus vielen Gründen kritisieren — genauso wie die katholische Kirche eben auch. Um die Gemeinde ging es bei dem Volksentscheid im Sommer 2018 aber nicht. Da wurde abgestimmt über die Frage: Wollen wir Muslime oder nicht?
Die AfD hatte den Entscheid initiiert, zweifelte aber, ob sie mit ihrem eigenen Label Erfolg haben würde. Bei der Bundestagswahl 2017 war sie im Allgäu zweitstärkste Kraft, in Kaufbeuren aber blieben explizit rechte Positionen noch verpönt. Deshalb aktivierte die AfD den parteilosen Werner Göpel, der ohnehin schon vor der Islamisierung Kaufbeurens warnte und die Sache mit dem Bürgerbegehren in die Hand nahm.
Ende Juni offenbarten sich die Zusammenhänge dann auf einer Kundgebung in der Kaufbeurer Fußgängerzone, auf der Göpel neben Wolfgang Rotter, dem Schatzmeister der AfD im Kreisverband Ostallgäu/Kaufbeuren sprach. Vor allem sprach dort aber Michael Stürzenberger, Wanderprediger der rechten Szene, der mit der “Bürgerbewegung” Pax Europa durch bayerische Fußgängerzonen zieht und gegen Muslime und „Linksfaschisten“ hetzt.
Gegen die Kundgebung gab es zwar lauten Protest, initiiert etwa von der Kaufbeurer Initiative für Frieden und internationale Abrüstung zusammen mit der lokalen Gruppe Bambule. Doch am Ende waren die Anti-Rassist*innen in der Minderheit. Beim Volksentscheid ein paar Wochen nach der Kundgebung stimmten 60 Prozent der 15.128 Wähler*innen gegen den Bau der Moschee. Nachdem das Ergebnis bekannt wurde, kam es zu einem spontanen Auto-Korso mit Deutschlandflaggen durch die Stadt.
Kaufbeuren zeigt einmal mehr, wie wenig wahr die Behauptung ist, man müsse nur die Abgehängten wieder mitnehmen und dann sei das Problem mit dem Rassismus gelöst. In Kaufbeuren und Umgebung wählen privilegierte Unternehmer*innen die AfD und gratulieren sich zum Erfolg des Volksentscheids: Endlich halten sie die Islamisierung des Allgäus auf!
In der rechten Szene wurde diese Entwicklung über die Stadtgrenzen hinaus gefeiert. Viral ging etwa ein Video der SPD-Stadträtin, die vor Erschütterung über das Wahlergebnis vor den Kameras des Morgenmagazins in Tränen ausbrach: „Know your enemy“ schrieb dazu die AfD Unterallgäu.
Kai Huber, der Sprecher von Bambule, befürchtet, durch das Abstimmungsergebnis könne rassistisch motivierte Gewalt in Kaufbeuren legitimiert werden. Weiter legitimiert werden, will man hinzufügen: 2013 etwa hatte ein Neonazi aus Thüringen, der der Polizei wegen voriger „rechtsmotivierter Taten“ bekannt war, auf dem Kaufbeurer Tänzelfest „Scheißrussen“ gebrüllt und dann einen Mann tot geschlagen. Die Kaufbeurer Polizei verschwieg den rechten Tathintergrund in der Pressemitteilung und der Kaufbeurer Bürgermeister Stefan Bosse (CDU) schrieb kurz nach dem rassistisch motivierten Mord auf die Webseite des „Tänzelfests“:
„Lieber Tänzelfestverein, bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! Der schreckliche Todesfall ist schlimm, aber deswegen das Feuerwerk absagen? (…) Es klingt blöd aber es stimmt ‹THE SHOW MUST GO ON!›“
Diskutieren, Mitabstimmen im Facebook-Event zum Kaltort-Ranking 2018
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Die Bürger*innen der bayerischen Kleinstadt haben 2018 entschieden: Eine neue Moschee darf nicht gebaut werden. Die alte Moschee der DiTiB-Gemeinde in Kaufbeuren war 2017 zu klein geworden, der Stadtrat hatte ein Grundstück in Aussicht gestellt. Dagegen begehrten die Kaufbeurer*innen auf — und schufen einen Präzedenzfall: Im Juli wurde in Deutschland das erste Mal ein Moscheebau per Referendum verhindert.
Kaufbeuren hat ein bisschen mehr als 40.000 Einwohner, eine Altstadt mit zwei Kirchtürmen, einem rosafarbenen Rathaus, gepflasterten Gassen, mit Stuck und Giebeln verzierten Häuserfassaden und Resten einer Stadtmauer aus dem Jahr 1200. Wenn der Himmel blau ist, schaut man von Kaufbeuren aus über grüne Hügel hinweg auf die Allgäuer Alpenkette. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Kneipendichte hoch. Jeden Sommer findet 12 Tage lang das Tänzelfest statt, zu dessen Höhepunkt alle Kaufbeurer Kinder in mittelalterlichen Kostümen die Geschichte der Stadt bei einem Umzug nachspielen. Es ist das älteste Kinderfest Bayerns und Kaufbeuren ist stolz darauf.
In Kaufbeuren gibt es seit Langem zwei Moscheen, die DiTiB-Gemeinde existiert seit 1981. Diese Gemeinde kann man aus vielen Gründen kritisieren — genauso wie die katholische Kirche eben auch. Um die Gemeinde ging es bei dem Volksentscheid im Sommer 2018 aber nicht. Da wurde abgestimmt über die Frage: Wollen wir Muslime oder nicht?
Die AfD hatte den Entscheid initiiert, zweifelte aber, ob sie mit ihrem eigenen Label Erfolg haben würde. Bei der Bundestagswahl 2017 war sie im Allgäu zweitstärkste Kraft, in Kaufbeuren aber blieben explizit rechte Positionen noch verpönt. Deshalb aktivierte die AfD den parteilosen Werner Göpel, der ohnehin schon vor der Islamisierung Kaufbeurens warnte und die Sache mit dem Bürgerbegehren in die Hand nahm.
Ende Juni offenbarten sich die Zusammenhänge dann auf einer Kundgebung in der Kaufbeurer Fußgängerzone, auf der Göpel neben Wolfgang Rotter, dem Schatzmeister der AfD im Kreisverband Ostallgäu/Kaufbeuren sprach. Vor allem sprach dort aber Michael Stürzenberger, Wanderprediger der rechten Szene, der mit der “Bürgerbewegung” Pax Europa durch bayerische Fußgängerzonen zieht und gegen Muslime und „Linksfaschisten“ hetzt.
Gegen die Kundgebung gab es zwar lauten Protest, initiiert etwa von der Kaufbeurer Initiative für Frieden und internationale Abrüstung zusammen mit der lokalen Gruppe Bambule. Doch am Ende waren die Anti-Rassist*innen in der Minderheit. Beim Volksentscheid ein paar Wochen nach der Kundgebung stimmten 60 Prozent der 15.128 Wähler*innen gegen den Bau der Moschee. Nachdem das Ergebnis bekannt wurde, kam es zu einem spontanen Auto-Korso mit Deutschlandflaggen durch die Stadt.
Kaufbeuren zeigt einmal mehr, wie wenig wahr die Behauptung ist, man müsse nur die Abgehängten wieder mitnehmen und dann sei das Problem mit dem Rassismus gelöst. In Kaufbeuren und Umgebung wählen privilegierte Unternehmer*innen die AfD und gratulieren sich zum Erfolg des Volksentscheids: Endlich halten sie die Islamisierung des Allgäus auf!
In der rechten Szene wurde diese Entwicklung über die Stadtgrenzen hinaus gefeiert. Viral ging etwa ein Video der SPD-Stadträtin, die vor Erschütterung über das Wahlergebnis vor den Kameras des Morgenmagazins in Tränen ausbrach: „Know your enemy“ schrieb dazu die AfD Unterallgäu.
Kai Huber, der Sprecher von Bambule, befürchtet, durch das Abstimmungsergebnis könne rassistisch motivierte Gewalt in Kaufbeuren legitimiert werden. Weiter legitimiert werden, will man hinzufügen: 2013 etwa hatte ein Neonazi aus Thüringen, der der Polizei wegen voriger „rechtsmotivierter Taten“ bekannt war, auf dem Kaufbeurer Tänzelfest „Scheißrussen“ gebrüllt und dann einen Mann tot geschlagen. Die Kaufbeurer Polizei verschwieg den rechten Tathintergrund in der Pressemitteilung und der Kaufbeurer Bürgermeister Stefan Bosse (CDU) schrieb kurz nach dem rassistisch motivierten Mord auf die Webseite des „Tänzelfests“:
„Lieber Tänzelfestverein, bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! Der schreckliche Todesfall ist schlimm, aber deswegen das Feuerwerk absagen? (…) Es klingt blöd aber es stimmt ‹THE SHOW MUST GO ON!›“
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