Redebeitrag der antifaschistischen initiative [das schweigen durchbrechen] für die Demonstration “NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen”

Redebeitrag der antifaschistischen initiative [das schweigen durchbrechen] für die Demonstration “NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen”

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Am 31. August 2005 verwendete die Nürnberger Zeitung erstmals das Wort „Döner-Mord“. Zu diesem Zeitpunkt waren Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar und Theodoros Boulgarides bereits vom NSU ermordet und mindestens 24 weitere Menschen durch Bombenattentate in Köln und Nürnberg zum Teil schwer verletzt worden.

Der Ausdruck steht stellvertretend für den Diskurs der deutschen Öffentlichkeit während der Mordserie und verdeutlicht in anschaulicher Weise, wie gesellschaftlicher Rassismus genau jenen Diskurs dominiert.

Insgesamt fielen neun Menschen der völkisch-rassistischen Ideologie des NSU zum Opfer. Sie oder ihre Eltern hatten einen türkischen, kurdischen oder griechischen Migrationshintergrund. Nur zwei der Ermordeten betrieben überhaupt einen Döner-Imbiss. Die Bezeichnung zeigt, welches Bild in Deutschland von Migrant_innen und Postmigrant_innen vorherrscht. Es ist ein stereotypisches Bild eines ehemaligen Gastarbeiters, der nun einen Schnellimbiss betreibt. Genau jenes Bild ist es, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund hat. So wundert es nicht, dass der Ausdruck nach seiner Erfindung durch die Nürnberger Zeitung bereitwillig von der gesamten deutschen Presselandschaft aufgenommen und bis zur Selbstenttarnung des NSU benutzt wurde. Von FAZ bis TAZ wurde nicht über den ideologischen Gehalt des Ausdruckes reflektiert, man machte Mordopfer zu Imbissbuden-Gerichten.
Dies ist als weiterer Erfolg des NSU zu werten. Nachdem der NSU seinen Opfern das Leben nahm, drangsalierten die Strafverfolgungsbehörden die Angehörigen, kriminalisierten sie und nahmen ihnen ihre Würde. Dann entmenschlichte die deutsche Presse noch die Opfer, indem sie sie als „Döner“ bezeichnete, und ihnen so noch nach den Morden ihre Menschlichkeit nahm. Die deutschen Medien leisteten damit ideologische Schützenhilfe bei den Taten des NSU. Sie reproduzierten in ihrer Berichterstattung die völkisch-rassistische Ideologie in der Aufteilung zwischen „Wir“ und „die Anderen. Ihre Berichterstattung verdeutlicht, wie dominant rassistische Bilder in der deutschen Gesellschaft sind, wenn über Jahre unwidersprochen entmenschlicht und ausgegrenzt werden kann.

Dies zeigt sich auch daran, dass das Wort „Döner-Morde“ zwar ab 2006 auch von türkischsprachigen Medien bereitwillig aufgegriffen wurde, sich diskursanalytisch aber Unterschiede feststellen lassen. So trifft man in der türkischsprachigen Berichterstattung verstärkt auf Distanzierung und Vermeidungsstrategien in Bezug auf den Ausdruck; es gibt die Alternativbezeichnung „Dönerverkäufer-Mord“. Auch Kritik an den deutschen Ermittlungsbehörden lässt sich verstärkt feststellen. In einem Hürriyet-Artikel heißt es unter Berufung auf „Nürnberger Türken“, dass die „deutsche Polizei“ bewusst verschleiern würde, dass der Mörder ein deutscher Rassist ist, um von einem ansteigenden Rassismus abzulenken.
Nach der Selbstenttarnung des NSU bevorzugte die deutsche Presselandschaft die Wörter „fremden-“ und „ausländerfeindlich“, wenn von den rassistischen Morden gesprochen wurde. Die Opfer des NSU lebten im Regelfall schon Jahrzehnte in Deutschland, besaßen zum Teil eine deutsche Staatsangehörigkeit, hatten ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der Grenzen des deutschen Staates. Wer bei diesen Morden von „Ausländerfeindlichkeit“ redet, reproduziert eine bestimmte Vorstellung von dem, was deutsch ist: Deutsch ist in diesem Fall eben nicht jemand, der in Deutschland lebt oder einen deutschen Pass hat. Deutsch sind nur diejenigen, die von „deutschem Blut sind“.

Die Chancen für eine journalistische Selbstreflexion stehen ohnehin schlecht. Die unhinterfragte Übernahme vorgefertigter Satzbausteine, Zeitdruck und der Hang sich an Autoritäten anzuschmiegen gehören zu den Spielregeln des Pressebetriebs. Der ehemalige Redakteur der Freien Presse Christian Gesellmann gibt in dieser Hinsicht in seinem Artikel „Warum ich aus Sachsen weggezogen bin“ einen Einblick in die spezifisch sächsische Ausprägung einer bundesweiten Realität. Und in Nürnberg? Ihre Erfindung „Döner-Mord“ wurde 2011 zum Unwort des Jahres gekürt, die Namen der Opfer des NSU können die Mitarbeiter_innen des Verlags Nürnberger Presse bis heute nicht korrekt wiedergeben. Es gibt also keine Alternative zu NSU-Watch und eigenen Sendungen auf Freien Radios. Antifa bleibt Schreibarbeit! Das Problem heißt Rassismus!

Das Schweigen durchbrechen!

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