Redebeitrag von „Aktionsbündnis Tribunal ‚NSU-Komplex auflösen’“ auf der Demonstration „NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen“
Wir vom Bundesweiten Aktionsbündnis Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ grüßen alle Teilnehmer*innen der heutigen Demo. Unser Bündnis hat sich gegründet, um sich mit den Kämpfen der Betroffenen der rassistischen Mord- und Anschlagserie des NSU zu solidarisieren. Die betroffenen Migranten und Migrantinnen wussten ganz genau, wer hinter solchen Anschlägen steckt. Dass ihr Wissen nicht gehört wurde, ist auf einen strukturellen Rassismus in Deutschland zurückzuführen.
Dieser strukturelle Rassismus bildet zusammen mit den staatlich aufgebauten, bezahlten und beschützten Neonazistrukturen den NSU-Komplex. NSU bedeutet – Staat und Nazis Hand in Hand. Wir – Betroffene und AntirassistInnen – klagen diese Strukturen und alle Verantwortlichen an. Wir organisieren dafür ein Tribunal. Ein Tribunal, in dem die Betroffenen rassistischer Gewalt ihre Stimme erheben und gehört werden.
Im Mai 2017 in Köln Mühlheim, wo der NSU 2004 mit einem Nagelbombenanschlag nicht nur eine ganze Straße angriff, sondern stellvertretend die Idee einer Gesellschaft der Vielen. Im Mai 2017 in
Deutschland, wo die Wirkungen der rassistischen Ermittlungen und Medienberichte, die auf die Anschläge folgten, so weit gingen, dass die Bewohner*innen der Keupstrasse von der „Bombe nach der Bombe“ sprechen. Der NSU hat das einkalkuliert. In der Wohnung des Trios hier in der Frühlingstraße in Zwickau gab es ein Zeitungsarchiv. Die Mörder*innen sammelten sämtliche Berichte über die Morde, in denen es hieß, dass die Spuren in Richtung OK gingen, dass die Ermittlungen aber nicht weiter kämen, weil die Familien bei der Aufklärung nicht kooperieren würden. Der institutionelle Rassismus der Ermittlungsbehörden wurde vom NSU für seine Tatzwecke instrumentalisiert.
Diese rassistische Spaltung, auf die der NSU setzen konnte und die eine migrantische Community bis heute in Angst versetzt, während die öffentliche Wahrnehmung nicht einmal Notiz davon nimmt, und wenn dann wie zuletzt in Bautzen nur in einem aggressiven Abwehrreflex, der den Opfern sofort die Schuld zuschiebt, diese Spaltung wollen wir mit dem Tribunal überwinden.
Deshalb werden wir in Köln drei Klagen formulieren: Erstens klagen wir. Wir klagen um die Opfer, die fehlen; und um diejenigen, die jahrelang bis heute so viel Leid und Demütigung ertragen mussten. Im Schauspiel Köln, unweit der Keupstraße, werden die Opfer des NSU-Komplexes ungehindert und ohne unterbrochen und gemaßregelt zu werden, ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Forderungen und ihre Hoffnungen artikulieren können. Es geht bei dieser ersten Klage um Verstehen, Empathie, Solidarität.
Wir formulieren zweitens eine Anklage. Wir klagen an, denn der Schmerz verlangt eine Konsequenz. Wir klagen jene an, die sich hinter den Strukturen ihrer rassistischen Normalität verstecken, die Journalist_innen, die von düsteren Parallelwelten fabulieren, die Politikerinnen, die vor Ghettos warnen und gleichzeitig die Menschen mit ihrer Stadtpolitik genau in solche hineinorganisieren, die Behördenmitarbeiter, die die Angehörigen und Opfer erpresst, eingeschüchtert und kriminalisiert haben, die Agenten in den geheimen Diensten, die das Morden der Nazi-Zellen bewirtschaftet haben und die Spuren dieser gemeinschaftlichen Taten heute akribisch verwischen. Natürlich klagen wir auch die Struktur des Rassismus an, weil die Verbrechen nicht als eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen gestresster Beamter abgetan werden können. Aber wir sprechen auch von konkreten Akteuren, die sich sehr wohl entscheiden können, ob sie hetzen, lügen, bedrohen, vertuschen, helfen – und die dafür die Verantwortung tragen. Allerdings werden wir nicht Richter spielen und Urteile fällen, denn wir haben keine Macht sie zu vollstrecken. Wir wollen auch keine Versöhnungskommissionen bilden, denn zur Versöhnung gehört eine vorangegangene Zäsur, ein Ende der Angriffe. Davon sind wir weit entfernt. Das Tribunal wird aber die Namen und Taten der Verantwortlichen gebündelt und unüberhörbar in den öffentlichen Diskurs transportieren.
Drittens klagen wir ein. Wir klagen eine andere Realität ein, eine solidarische Gesellschaft, die diese Verhältnisse verändern kann und es seit Jahrzehnten bereits tut. Wir werden zeigen, dass Rassismus uns nicht nur trennt. Er vereint uns in unserem Kampf für eine bessere Welt, die sich an unzähligen Orten im Alltag schon längst realisiert hat. Statt uns nach den Spielregeln des Rassismus gegenseitig zu hierarchisieren, greifen wir auf eine Gesellschaft voraus, in der wir etwas anders sein können.
In der Keupstraße, wie in unzähligen anderen Orten der BRD wurde jene neue, postmigrantische Gesellschaft errichtet, die für viele von uns heute als selbstverständlich gilt und die auch an Zwickau nicht vorübergeht. Die Angehörigen der Mord- und Anschlagsopfer haben nicht das Land verlassen. Und auch die Keupstraße hat sich wieder aufgebaut. Die über 50jährige Einwanderung nach Deutschland hatte zivilisatorische Effekte auf dieses postnazistische Land, die weder wegzudemonstrieren noch wegzubomben sind. Unsere Agenda darf nicht diktiert werden durch Pegida, AfD, CSU oder NPD – sie haben keine Zukunft anzubieten! Unsere Botschaft mit dem Tribunal ist deutlich:
Ihr habt euer Ziel nicht erreicht! Migrantisches Leben lässt sich nicht vertreiben, Einwanderung nicht rückgängig machen! Wir sehen im Gegenteil hierin das gute Leben – das Prinzip einer offenen Gesellschaft der Vielen. Deshalb bleiben wir, wir verändern, wir demokratisieren, wir schaffen die Gesellschaft der Vielen. Die Migrationsgesellschaft ist eine Realität, die unumkehrbar ist. Und wenn, dann nur zum Preis der Barbarei. Das werden wir nicht zulassen.
Kommt im Mai 2017 nach Köln und beteiligt euch am Tribunal!