Demob: Gegen das Heidenauer Miteinander – Demonstration am ersten jahrestag der Pogromartigen Ausschreitungen

Wir wollen am 21. August eine Demonstration anlässlich des ersten Jahrestages der zweitägigen Ausschreitungen von Heidenau veranstalten. Ein paar einleitende Worte von demob zum Aufruf der Demonstration, die wir als Protestmarsch gegen den unerträglichen rassistischen Konsens von Nazis bis Zivilgesellschaft verstehen.
15 Meter lang war sie eines der farbenfrohsten Mahnzeichen über die Verschlingung von scheinbarer Normalität und der darunter liegenden volksgemeinschaftlichen Grundierung im Ort. Um die nach den Ausschreitungen vermeintlich so zerstrittenen Bewohner_innen von #Heidenau wieder an einen Tisch zu bringen, hatte der Künstler Hüseyin Arda Buchstaben aufstellen lassen, die zusammen das Wort „Miteinander“ bildeten und dazu aufgerufen, diese zu bemalen. Fast zeitgleich zur Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete ist die Skulptur nun wieder abgebaut worden. Sie fungierte als Gradmesser der aktuellen Befindlichkeiten des Dresdener Vorortes: Hin- und wieder bunt, zwischendrin aber in Reichsfarben und später auch in in Schwarz-Rot-Gold gefärbt. Verlacht ab der Eröffnung, während der Jugendliche vernehmlich Sätze wie „Miteinander Ausländer klatschen“ bildeten und durch weitere Kunstaktionen begleitet, als in den letzten Monaten Nazis Leichenumrisse, Kunstblut und „Migration tötet“-Schnipsel an den Heidenau umgebenen Bahnhöfen hinterliessen. Die Skulptur blieb von Schweigen umhüllt, auch wenn Nazis per Facebook dazu aufriefen, Nummernschilder oder Personenbeschreibungen von Leuten zu liefern, die die Nationalbemalung überstrichen hatten. Dieses Schweigen entsteht nicht, weil die Gesellschaft gespalten oder verängstigt ist. Es ist das Schweigen derjenigen, die wissen, dass sie im Rampenlicht der Medien ein von Außen installiertes Mahnmal ertragen müssen. Es ist ein verräterisches Schweigen, in dem Nazi sein eine akzeptierte Varianz der Normalrassist_innen ist, in dem ein schwarzweißrotes „Miteinander“ die Gemeinschaft nicht stört, sondern ausdrückt. Aber: Geschwiegen wird sowieso nur auf den ersten Blick. Wer es wagt, einen Blick in die „Heidenau wehrt sich“-Facebookgruppe zu werfen, kriegt selbst im allgemein zugänglichen Teil eine Vorahnung darauf, wie es auch an den örtlichen Stammtischen aussehen wird. Diese Zustände zumindest in ein öffentlicheres Licht zu zerren und diesen Konsens zu skandalisieren ist Ziel der Demonstration #Heidenau_2108, wie aus dem Aufruf ersichtlich wird:
Wir möchten mit dem allgemeinen Schweigen über die Ereignisse im August 2015 brechen. Wir lehnen das Schöngerede von lokalen Akteur*innen ab und fordern die lückenlose Aufarbeitung der Gewalttaten. Ein konsequenter Umgang mit rassistischen Auschreitungen, Übergriffen, Drohungen und Anschlägen ist kein Luxus, sondern eine Notwendikeit, der sich auch die bürgerliche Justiz, Politik und Bevölkerung nicht entziehen kann. Wir möchten unsere Wut auf die Straße tragen und den selbsternannten Asylkritiker*innen und jenen, die lieber die Vorhänge zuziehen, wenn ein rassistischer Mob durch ihre Straßen wütet und menschenverachtenden Ideoligien skandiert, zeigen, dass wir die Schnauze voll haben von dieser faschistischen Stadthegemonie.
Als Teil des Bündnisses „irgendwo in deutschland“ rufen wir euch auf, am 21. August um 14 Uhr am Bahnhof Heidenau die Demonstration „Wir vergessen nicht! das Schweigen in der sächsischen Provinz brechen.“ zu unterstützen. Ihr findet den gesamten Aufruf auf der Seite des “Irgendwo in Deutschland”-Bündnis:

Redebeitrag Antifa Klein-Paris "Ein Jahr nach Heidenau"

Ein Jahr nach Heidenau


Als wir vor etwas mehr als einem Jahr hier in Heidenau mit ca. 250 Antirassist*innen und Antifaschist*innen standen, tobte der rassistische Mob nur wenige Meter entfernt die zweite Nacht in Folge. Heidenau war ohne Frage der Höhepunkt einer Pogromstimmung, die sich nicht erst nachdem tausenden Geflüchtet die Balkanroute überschritten hatten, aufbaute. Die wurzeln dieser Eskalation lagen deutlich tiefer.
Erinnert sei an dieser Stelle an die rassistischen Fackelmärsche von Schneeberg im Winter 2013, an die ebenfalls von der NPD angeleiteten „Nein-Zum-Heim“ Proteste, die die Eröffnung von vielen Asylsuchendenheimen begleitete und nicht zuletzt an die PEGIDA-Bewegung, die diese rassistische Grundstimmung erfolgreich für sich zu nutzen wusste.
Diese besorgte ohne Frage den gesellschaftlichen Dammbruch des reaktionären Rollbacks. Der PEGIDA-Effekt zeigte deutlich seine Folgen. Während die montäglichen Aufmärsche im Verlaufe des Jahres 2015 einen stetigen Rückgang der Teilnehmendenzahl erfuhren, kam es vor allem im Ballungsraum Dresden vermehrt zu rassistischen Protesten, die sich direkt gegen Unterkünfte und Asylsuchende richten, wie in Freital, Meißen, Mittweida und hier Heidenau. PEGIDA-Personal marschierte und marschiert Seite an Seite mit bekennenden Neonazis. Zugleich stiegt die Zahl der rassistischen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr auf das Doppelte; Anschläge begleitet allerorts die die Eröffnung von Unterkünften und verhinderten diese zum Teil. Und diese Entwicklung setzt sich bis dato ungebrochen fort – und das trotz des aktuellen Rückgangs mobartiger Versammlungen wie in Freital oder Heidenau.
Dementsprechende stecken wir noch immer in jenem Dilemma, das wir bereits vor knapp einem Jahr wie folgt beschrieben: „Erstens gibt es bisher keine praktische, antirassistische Antwort auf die zunehmende Verschärfung des Asylrechts und die unhaltbaren Bedingungen, denen Geflüchtete derzeit in Sachsen, aber auch bundesweit, ausgesetzt sind. Zweitens: Entgegen vieler Darstellungen ist der gegenwärtige Asyldiskurs nicht allein von einer „das Boot ist voll“-Rhetorik geprägt. Vielerorts ist gelebte Solidarität mit Geflüchteten zu sehen und gerade angesichts der aktuellen Zuspitzung scheint sich diese gesellschaftlich stärker zu verbreiten. Drittens führt diese gelebte Solidarität bisher nicht ansatzweise dazu, dass sich die politischen Verhältnisse progressiv entwickeln würden. Die Bewegung befindet sich in einem Abwehrkampf gegen Rassist*innen und staatliche Strukturen, allen voran gegen die Innenministerien von Bund und Ländern, die kaum einen Anlass auslassen, Asylrechtsverschärfungen zu fordern und durchzusetzen.“ (Zitat Ende!)
Der kurze, aber etwas Hoffnung stiftende „Sommer der Migration“ war schnell zu Ende. Die rassistische Deutung der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht in Köln und das propagandistische Dauerfeuer von AFD, CDU & CSU – aber auch von Teilen der SPD, GRÜNEN und Linkspartei besorgte den Rest. So pessimistische dieses Resümee nach einem Jahr klingen mag – so realistisch ist es leider.
Dennoch gilt es Ansätze für einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden und radikal linke antirassistische und antifaschistische Politik nicht aufzugeben, sondern eine neue Praxis zu entwickeln.
Erstens: Keine Intervention ohne konkrete Solidarität! Antifaschistische Intervention bei rassistischen Zusammenrottung und antirassistische Solidarität sind zwei Seiten einer Medaille. Wo es keine Geflüchteten gibt, die wir versuchen zu Schützen und mit denen man gemeinsame Kämpfe organisieren kann, läuft Antifaschismus in leere.
Zweites: Das völkische Denken unserer Zeit und der rechte Rollback sind nicht nur durch rassistische Denk und Handlungsmuster geprägt. Verfolgt man die Konjunkturen rechter Hetze aufmerksam – und dass macht gerade die mediale Verzerrung der Ereignisse von Köln deutlich: Antifeminismus und patriarchales Denken gehören ebenso zum Kerngeschäft der reaktionären Hetzer (#WerschütztunsereFrauen). Feminismus kann deshalb nicht nur schmückendes Beiwerk unserer Praxis sein, sondern muss ebenso viel Engagement entfesseln.
Drittens: Auch, wenn die AFD zunehmend zum parlamentarischen Flügel des Mobs auf der Straße wird und um Björn (oder Bernd? ;-)) Höcke, Poppenburg und andere ein faschistischer Flügel wächst, dürfen wir nicht vergessen, dass die AFD die Voraussetzung ihres Verfolge nicht selbst geschaffen hat. Die Inszenierung der „Asylkrise“, die rassistische Spaltung der Gesellschaft und autoritäre Politik zur Rettung des Kapitalismus sind Erfindungen aus schwarzen, grünen und roten Amtsstuben. Mit der Zivilgesellschaft lassen sich also vielleicht die schlimmsten Brandherde löschen, vielleicht schaffen wir sogar die AFD zu diskreditieren. Um jedoch die Entstehung eines Großbrandes zu verhindern, braucht es eine radikale antirassistische, feministische und antikapitalistische Praxis – also ein vernünftiges Gegenfeuer … um in der Metapher zu verbleiben.
https://antifakleinparis.noblogs.org/
https://twitter.com/antifa_kp

Umkämpftes Gedenken

Rostock Lichtenhagen und das Ringen um Gedenkperspektiven
Vortrag mit anschließender Diskussion
24.08.17 19:00 Uhr Gängeviertel Seminarraum 4.OG
Die Jahrestage des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen prägen seit jeher Konflikte um die Form des Gedenkens. Staatlicherseits wird die tagelange rassistische Gewalt als ein „Schrecken“ bezeichnet, der heute Aufruf sei, „Fremdenfeindlichkeit“ abzubauen. Staatliche und städtische Gedenkveranstaltung kommen so oft als Imagekampagne für ein besseres Miteinander daher und ignorieren damit aktiv die rassistische Verfasstheit der Gesellschaft. Sie schiebt die Verantwortung für die Gewalt in die Vergangenheit oder auf einzelne Täter ab. Linkes und zivilgesellschaftliches Gedenken agiert hingegen aus einer anderen Motivationslage. Der konkrete Ablauf der Ereignisse steht hier im Mittelpunkt, oft um die Ereignisse auf die Gegenwart hin zu interpretieren und auf eine linke Perspektivsuche zu gehen.
Doch auch diese Herangehensweisen birgt das Problem das Pogrom von Lichtenhagen zu instrumentalisieren. So drehen sich viele linke Perspektiven auf Lichtenhagen um die temporäre Niederlage gegen die Gewalt der Deutschen, worauf eine neue Form antifaschistischen Widerstands erwuchs. Wie selbstverständlich werden dabei Antifas und Nazis in ihrer Gegenerschaft zueinander zu den Hauptakteur_Innen des Geschehenen. Die Opferperspektive hat in der militärischen Auswertung dieser Konstellation keinen Platz. Wie kann es aber sein, dass ein antirassistisches Gedenken keinen Platz für jene bietet, die Rassismen tagtäglich begegnen müssen? Wie kann linke Praxis eine Rassismusanalyse entwickeln, wenn innerhalb der linken Szene Migrations- und Rassismuserfahrungen nur marginal vorhanden sind?
Sind Jahrestage der richtige Zusammenhang Rassismus zu thematisieren und wenn ja, dann wie?
Die Kampagne „Rassismus tötet!“ versuchte zwischen 2012 und 2013 die in enger Verbindung stehenden Jahrestage der Morde von Mölln und Solingen, der Pogrome von Hoyerswerda, Rostock und Mannheim sowie der Asylrechtsreform in ihrem politischen Kontext zu thematisieren. Die Erfahrungen, die die Kampagne mit ihrer Arbeit gemacht hat und die Kritik, die sie erfahren hat, könnten auch für zukünftiges Gedenken wichtig sein. In Form eines Vortrages werden einige Ideen und Fallstricke der Kampagne vorgestellt, um einen Ausgangspunkt für eine gemeinsame Debatte um antirassistische Praxis und migrantisierte Erinnerungsformen zu schaffen.